Dienstag, 4. August 2009

Klimawandel

Seit ein paar Jahren leidet England, insbesondere der Süden, unter einer Monsunsaison, die ausgerechnet auf den Juli fällt, den einzigen Monat, in dem wir beide problemlos länger am Stück Urlaub nehmen können. Immer häufiger vertreiben uns nun platzregenartige Niederschläge vom Strand, und der starke Wind verdirbt die Wellen zum Surfen.

Diesmal sollte alles ganz anders werden. Im April rissen Schlagzeilen von einem zu erwartenden „barbecue summer“ die Briten aus ihrem Stimmungstief. Normalverbraucher, denen eine bösartige Bestie namens „credit crunch“ um die Fersen kläffte, buchten statt des kanarischen Ferienappartements zwei Wochen auf einem Campingplatz in Devon. Für Spot the Dog wurde ein Sonnenzelt angeschafft und Baby Daisy in Ganzkörper-Neopren gezwängt. Sogar Jills arbeitsloser Vater und Jacks allein erziehende Mutter leisteten sich in einem der zahlreichen Räumungsverkäufe eine neue Grillzange und ein Paar Shorts. Die großen Supermarktketten ließen Werbefilme drehen: fröhliche Familien beim Picknick, Ketchupmünder lachen mit der Sonne um die Wette – „alles für unter fünf Pfund!“

Ende Juli dann die Hiobsbotschaft: zwei Tage Land unter, und die Langzeitvorhersage sei wohl ein wenig optimistisch ausgefallen, vermeldete das Wetteramt kleinlaut. Im übrigen habe die Presse die Wendung vom „barbecue summer“ – ähnlich wie seinerzeit den „englischen Monsun“ – allzu begierig aufgesogen. Geprägt habe man sie nämlich, um die 35prozentige Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass besagte neue Jahreszeit ins Wasser fallen könne.

Morgenluft wittern momentan nur die Verschwörungstheoretiker unter uns. Tatsächlich drängt sich die Frage auf, ob die Regierung etwa Druck auf ihre Behörde ausgeübt hat, die Prognosen möglichst positiv zu gestalten: um Urlauber im Land zu halten oder sogar anzulocken (als ob der derzeitige Pfundkurs nicht schon Anreiz genug wäre!) und die Wirtschaft anzukurbeln. Immerhin soll schon im Ostblock der Wetterbericht gefälscht worden sein. Damals war das Propaganda – so 20th century, darling –, bei New Labour heißt es eben „spin“.

Sonntag, 26. Juli 2009

Kochkunst

„Was, Sie kochen?“ fragt mich entgeistert ein Kunde, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite. „Aber doch nicht jeden Tag? Dabei dachte ich immer, Sie sind so‘ne feministisch Beschleunigte!“ Er hat mich angerufen, als meine Hände gerade tief im Pizzateig stecken und ich das Telefon zwischen Kinn und Schulter balancieren muss. Seine Frage kommt mir so dumm vor, dass mir erstmal die Spucke wegbleibt. Ja, ich koche – leidenschaftlich gern und fast jeden Tag. Manchmal sind wir abends bei Freunden, dann kochen die, oder im Restaurant, dann kochen Profis, und selten schmeckt es uns so lecker wie zu Hause. – Na und? Schließlich esse ich auch leidenschaftlich gern – jeden Tag.

Eigentlich ganz einfach. Aber natürlich weiß ich, was hinter der Frage steckt. Meine Generation von Frauen – und Männern – ist in einer Kultur aufgewachsen, die uns eintrichtern wollte, dass Selbstverwirklichung, Erfolg, Lebensglück gar, nur durch Lohnarbeit zu haben sei. Am Gymnasium, wo wir Leistungsträger der Zukunft ausgebildet wurden, ist so etwas wie Hauswirtschaftslehre gar nicht erst unterrichtet worden – warum auch? Wäre ja Ressourcenverschwendung gewesen. Mit unseren anstrengenden Powerjobs, mit all den Überstunden im Namen von Emanzipation und Gleichberechtigung würden wir doch später überhaupt keine Zeit haben, aus frischen Zutaten eine Mahlzeit zuzubereiten. Wozu gibt es schließlich Mikrowellen und Tiefkühltruhen?

Denn während wir uns in geschäftigen Großraumbüros verwirklichten, sollten unsere weniger begabten Mitmenschen am Fließband stehen und aus Konservierungsstoffen, naturidentischen Aromen, Geschmacksverstärkern und anderen Errungenschaften der Lebensmittelchemie etwas massenproduzieren, was sich dann von unseren Kollegen aus der Werbebranche als Gourmetkost für Gehetzte vermarkten ließ. Die perfekte Arbeitsteilung: Alle profitieren. Und zur Entspannung werden Kochshows im Fernsehen geguckt. – Nein, das ist keine Verschwörungstheorie. Schauen Sie doch mal in die Einkaufskörbe Ihrer Nachbarn, wenn Sie das nächste Mal an der Schnellkasse in der Schlange stehen.

Apropos Schnellkasse: Die Beschäftigung bei den großen Supermärkten, dem nächsten Glied in unserer Nahrungskette, bietet zugegebenermaßen wenig Raum zur persönlichen Entfaltung und kreativen Verwirklichung – aber immer noch besser, als zu Hause am Herd zu stehen! Mal ganz abgesehen davon, dass es in immer mehr Haushalten zwei Brotverdiener braucht, damit alle satt werden. Ob ich meinen Kunden zurückrufen und ihn über all diese vertrackten Zusammenhänge aufklären soll? Lieber empfehle ich ihm Frau Burkhardts Text zu einem verwandten Thema.

Und beglücke ihn mit diesem Zitat aus Barbara Kingsolvers wunderbarem Buch „Animal, Vegetable, Miracle“: „Als wir den Haushalt gegen die Karriere eintauschten, ging damit das unausgesprochene Versprechen wirtschaftlicher Unabhängigkeit und öffentlichen Einflusses einher. Aber in Bezug auf den Alltag hat sich das als ein Teufelspakt herausgestellt“, so die amerikanische Schriftstellerin, beileibe keine Eva Heimchen, sondern eine studierte Ökologin mit nachahmenswertem Lebensstil. „Als die Frauen meiner Generation der Küche den Rücken kehrten, wies uns eine profitgierige Lebensmittelindustrie den Weg, die uns rasch als übermüdete, empfängliche Zielgruppe ausgemacht hatte. ‚Hey, Ladies‘, ermunterte sie uns, ‚weiter so, emanzipiert euch ruhig. Wir sorgen dafür, dass das Essen auf den Tisch kommt.‘ Sie rissen uns die Tür weit auf, und wir marschierten auf eine Ernährungskrise und eine wahrhaft giftstoffhaltige Lebensmittelversorgung zu. Wenn Sie glauben, giftstoffhaltig sei übertrieben, dann lesen Sie mal, was auf der Packung zum Umgang mit ungekochtem Hähnchenfleisch aus der Massentierhaltung steht.“

Als meine Eltern Anfang der Achtziger ihr Einfamilienhaus kauften, war meine Mutter – deren vorsintflutliche Entscheidung, Hausfrau statt Wissenschaftlerin zu werden, mir damals, aber das nur nebenbei, als eine der ganz großen Tragödien des 20. Jahrhunderts erschien – entsetzt über die winzige, schlecht zu lüftende Küche: kaum größer als das Gästeklo; kaum Flächen, um etwa einen Strudelteig hauchdünn auszurollen, die Brotschneidemaschine aufzustellen oder mehrere Gänge gleichzeitig vorzubereiten; erst recht kein Platz für uns Kinder, um ihr beim Kartoffelschälen zu helfen, rohes Gemüse zu naschen, Töpfe und Schüsseln auszulecken, Spaghettisoße umzurühren, Zimtsterne auszustechen, eine selbst ausgedachte Geschichte vorzulesen oder zu erzählen, was der verhasste Mathelehrer wieder Unerhörtes von sich gegeben hatte. „Wieso, mehr brauchen Sie doch heutzutage nicht mehr“, sagte der Architekt verständnislos. Seine Frau sei vollauf glücklich damit.

Die Küche in unserer Berliner Altbauwohnung hat doppelt so viele Quadratmeter. Eigentlich ist sie mir immer noch zu klein. Am liebsten hätte ich eine Vorratskammer und eine sonnige Fensterbank voller Kräutertöpfe. Wenn ich nach stundenlanger Kopfarbeit den Computer ausschalte und das Radio aufdrehe; wenn ich die Ärmel hochkremple, warmen Pizzateig knete, bis er aufhört zu kleben, sondern Blasen wirft und geschmeidig wird, Knoblauch presse, Peperoni, Zwiebeln, Tomaten und Pilze schnippele, Käse reibe; wenn sich dann die ganze Wohnung mit dem Aroma frisch gebackener Pizza füllt – dann habe ich endlich das Gefühl, heute etwas geschafft zu haben. Den Abwasch übernimmt zum Glück mein feministisch beschleunigter Mann.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Alleinsein

Singles fragen oft: „Warum bin ich allein?“ Sie fragen nur selten: „Wozu bin ich allein? Was wird mir durch das Alleinsein möglich? Was kann ich tun, gerade weil ich allein bin?“ Genau diesen Fragen geht Ursula Wagner in ihrem Buch „Die Kunst des Alleinseins“ nach. Worin liegt das Positive im Alleinsein? Was können wir in diesen Zeiten lernen? Warum kann Alleinsein aber auch krank machen? Herausgekommen ist ein kluges Buch, das sämtliche Aspekte des Alleinseins umfasst – von der schmerzhaften Einsamkeit eines unfreiwilligen Singles bis hin zur freiwillig gewählten Abgeschiedenheit von Künstlern oder Mitgliedern religiöser Ordensgemeinschaften.

An vielen Stellen habe ich beim Lesen nachdrücklich genickt: Ja, genau so ist es. So fühlt sich der Schmerz der Einsamkeit an, so nagen die Selbstzweifel an einem, wenn man sich fragt, warum alle anderen das mit der dauerhaften Partnerschaft hinkriegen, nur man selbst nicht. Ich konnte allerdings auch nicken, als ich las, dass viele Menschen an unglücklichen Beziehungen festhalten, weil sie sich vor dem Alleinsein so sehr fürchten. Und dass es ungemein stark macht, wenn man feststellt, dass man auch die dunkelsten, einsamsten Momente tatsächlich überleben kann.

Besonders wohltuend finde ich, dass Ursula Wagner nicht den üblichen Ansatz wählt und Singles gut gemeinte Ratschläge erteilt, wie sie möglichst schnell wieder einen neuen Partner finden. Vielmehr betont sie, dass Menschen mit zunehmendem Alter immer mehr Mühe haben, nach einer Trennung oder dem Tod des Partners wieder einen neuen Gefährten zu finden. Es gilt also, nicht ständig den eigenen Sehnsüchten hinterher zu rennen, sondern vielmehr im Hier und Jetzt zu leben – allein und glücklich.

Das Buch enthält viele praktische Übungen, um dem eigenen Ich nachzuspüren. Denn darum geht es eigentlich im Alleinsein: Sich selbst näher zu kommen, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken, ein Zuhause in seinem Inneren zu finden, statt sich immer nur von der Liebe anderer Menschen abhängig zu machen. Eine absolute Leseempfehlung für alle Singles, aber auch für all jene, die Augenblicke des Alleinseins bewusst genießen möchten.

Dienstag, 14. Juli 2009

Falsche Tomaten

Im Zuge gründlicher Recherchen (einer Google-Suche von genau 0,46 Sekunden) habe ich festgestellt, dass es in Neubrandenburg nicht nur einen, sondern mindestens drei Bioläden gibt (und in der nahen Umgebung noch ein paar mehr) – bei 66.000 Einwohnern. Nanu? Sind die Menschen im Wilden Osten etwa auf einer höheren Entwicklungsstufe angelangt als der durchschnittliche Berliner Kosmoprolet?

Neulich in der Hauptstadt, Tatort Gemüseabteilung (einer bekannten Supermarktkette, die es, aber das wirklich nur nebenbei, für verkaufsfördernd zu erachten scheint, ihr überraschend üppiges Angebot an Tofu- und Weizeneiweiß-Produkten mitten zwischen blutigen Rindersteaks und mausetotem Federvieh auszulegen). Er: „Nee, Helga, das sind doch die Falschen! Kiek mal, da steht überall Bio dran!“ – Helga lässt erschrocken die falschen Tomaten fallen und ergreift mitsamt Einkaufswagen voller eingeschweißter Leichenteile die Flucht, als fürchte sie, sich mit gesundem Menschenverstand anzustecken.

Dienstag, 7. Juli 2009

Coaching mit Frau M. - Teil 4

Einfach nur reden

Frau M. ist unruhig, als sie in unsere heutige Coaching-Sitzung kommt.
„Ich weiß grade gar nicht mehr weiter“, sagt sie. „Da ist dieser Job, der mir angeboten wurde. Der Chef war ja ganz nett, aber die Kollegen wirkten so komisch. Und ich weiß überhaupt nicht, ob ich dort arbeiten will. Ja, ich weiß nicht mal, ob ich tatsächlich in einem Büro arbeiten möchte. Eigentlich ist mir das doch alles zu steif und zu förmlich.“
Sie sieht mich ratlos an.
„Und dann hatte ich noch fürchterlichen Krach mit meiner Tochter. Das zehrt an den Nerven und hindert mich daran, Entscheidungen zu treffen.“

Ich frage kurz nach, was denn los war, und dann sprudelt es aus Frau M. nur so heraus. Dass ihre Tochter seit zwei Jahren mit einem Mann zusammen ist, der ihr nicht gut zu tun scheint, der sie offensichtlich unglücklich macht. „Ich habe schon mehrmals das Thema Trennung auf den Tisch gebracht, aber auf mich hört sie ja nicht.“
Natürlich nicht, denke ich, schließlich ist die Tochter zwar erwachsen, aber mit gerade mal Anfang zwanzig will sie sich natürlich noch sehr bewusst von ihrer Mutter abgrenzen. Frau M. redet weiter. Über diesen unmöglich Mann. Über ihre unglückliche Tochter. Über ihr eigenes Unwohlsein und die erfolglose Suche nach einem neuen Lebensinhalt.
„Ihre Suche ist doch nicht erfolglos“, sage ich freundlich. „Sie stehen ja noch ganz am Anfang. So was braucht einfach Zeit, das geht nicht von einem Tag auf den anderen.“

Ich werde in dieser Stunde zur Sparringspartnerin. Frau M. kämpft mit mir um das Chaos in ihrem Leben. Ich nehme den Kampf gerne auf und gebe ihr alles zurück, was sie bei mir ablädt – mit anderen Worten, mit einem anderen Blick. Im Laufe der Stunde wird sie ruhiger, atmet mehrmals tief durch, und ich spüre, wie sie anfängt, einen Ausweg aus dem Gewirr zu finden und sich Strategien zu überlegen, was die nächsten Schritte sein können.

Manchmal ist es beim Coaching nicht angebracht, sich selbst mit originellen Methoden und Ideen zu übertrumpfen. Manchmal möchten die Kunden einfach nur reden. Das ist meistens dann der Fall, wenn es in ihnen drin brodelt und gärt, sie aber selbst noch nicht so genau wissen, worum es eigentlich geht. Sie haben Fragen, Ideen, Wünsche, Ereignisse überschlagen sich, aber nichts lässt sich richtig greifen. Also ist erst mal Sortieren angesagt. Das kann mit Hilfe kreativer Methoden wie Brainstorming oder Mindmapping geschehen. Oder eben einfach „nur“ durch Reden. Als Außenstehende mit neutralem Blick behalte ich den Überblick und merke eher, welche Themen obenauf liegen und was unterschwellig mitschwingt. Ich steuere das Gespräch und gebe durchaus auch mal meine persönliche Meinung zum Besten. Doch hauptsächlich geht es darum, dass ich den Kunden zeige, wo der Ausgang aus diesem Gefühlschaos zu finden ist. Den Weg gehen müssen sie dann alleine.

So macht es auch Frau M. Sie beschließt, den Job nicht anzutreten. So dringend sie das Geld gebrauchen könnte, aber sie hat kein gutes Gefühl bei der Sache. Und sie nimmt sich vor, mit ihrer Tochter noch mal in Ruhe zu reden, ohne sie unter Druck zu setzen. Ob das gelingt, wissen wir zu diesem Zeitpunkt natürlich beide noch nicht. Aber da Frau M. jetzt viel ruhiger und „sortierter“ ist als noch vor zwei Stunden, stehen die Chancen gut, dass sie ihre Tochter nicht nur mit ihren eigenen Ängsten und Bedenken überhäuft, sie mit ihrer eigenen Unruhe ansteckt, sondern dass ihre neu gewonnene Klarheit das Gespräch positiv beeinflusst.

Ich fühle mich ein wenig unbefriedigt. Hätte ich nicht viel mehr tun müssen? Hätte ich nicht mit brillanteren Coaching-Methoden aufwarten müssen? Nein, sage ich mir nach einigem Überlegen. Reden war genau das, was Frau M. heute brauchte, und nur das zählt.

Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
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