Coaching mit Frau M. - Teil 4

Einfach nur reden

Frau M. ist unruhig, als sie in unsere heutige Coaching-Sitzung kommt.
„Ich weiß grade gar nicht mehr weiter“, sagt sie. „Da ist dieser Job, der mir angeboten wurde. Der Chef war ja ganz nett, aber die Kollegen wirkten so komisch. Und ich weiß überhaupt nicht, ob ich dort arbeiten will. Ja, ich weiß nicht mal, ob ich tatsächlich in einem Büro arbeiten möchte. Eigentlich ist mir das doch alles zu steif und zu förmlich.“
Sie sieht mich ratlos an.
„Und dann hatte ich noch fürchterlichen Krach mit meiner Tochter. Das zehrt an den Nerven und hindert mich daran, Entscheidungen zu treffen.“

Ich frage kurz nach, was denn los war, und dann sprudelt es aus Frau M. nur so heraus. Dass ihre Tochter seit zwei Jahren mit einem Mann zusammen ist, der ihr nicht gut zu tun scheint, der sie offensichtlich unglücklich macht. „Ich habe schon mehrmals das Thema Trennung auf den Tisch gebracht, aber auf mich hört sie ja nicht.“
Natürlich nicht, denke ich, schließlich ist die Tochter zwar erwachsen, aber mit gerade mal Anfang zwanzig will sie sich natürlich noch sehr bewusst von ihrer Mutter abgrenzen. Frau M. redet weiter. Über diesen unmöglich Mann. Über ihre unglückliche Tochter. Über ihr eigenes Unwohlsein und die erfolglose Suche nach einem neuen Lebensinhalt.
„Ihre Suche ist doch nicht erfolglos“, sage ich freundlich. „Sie stehen ja noch ganz am Anfang. So was braucht einfach Zeit, das geht nicht von einem Tag auf den anderen.“

Ich werde in dieser Stunde zur Sparringspartnerin. Frau M. kämpft mit mir um das Chaos in ihrem Leben. Ich nehme den Kampf gerne auf und gebe ihr alles zurück, was sie bei mir ablädt – mit anderen Worten, mit einem anderen Blick. Im Laufe der Stunde wird sie ruhiger, atmet mehrmals tief durch, und ich spüre, wie sie anfängt, einen Ausweg aus dem Gewirr zu finden und sich Strategien zu überlegen, was die nächsten Schritte sein können.

Manchmal ist es beim Coaching nicht angebracht, sich selbst mit originellen Methoden und Ideen zu übertrumpfen. Manchmal möchten die Kunden einfach nur reden. Das ist meistens dann der Fall, wenn es in ihnen drin brodelt und gärt, sie aber selbst noch nicht so genau wissen, worum es eigentlich geht. Sie haben Fragen, Ideen, Wünsche, Ereignisse überschlagen sich, aber nichts lässt sich richtig greifen. Also ist erst mal Sortieren angesagt. Das kann mit Hilfe kreativer Methoden wie Brainstorming oder Mindmapping geschehen. Oder eben einfach „nur“ durch Reden. Als Außenstehende mit neutralem Blick behalte ich den Überblick und merke eher, welche Themen obenauf liegen und was unterschwellig mitschwingt. Ich steuere das Gespräch und gebe durchaus auch mal meine persönliche Meinung zum Besten. Doch hauptsächlich geht es darum, dass ich den Kunden zeige, wo der Ausgang aus diesem Gefühlschaos zu finden ist. Den Weg gehen müssen sie dann alleine.

So macht es auch Frau M. Sie beschließt, den Job nicht anzutreten. So dringend sie das Geld gebrauchen könnte, aber sie hat kein gutes Gefühl bei der Sache. Und sie nimmt sich vor, mit ihrer Tochter noch mal in Ruhe zu reden, ohne sie unter Druck zu setzen. Ob das gelingt, wissen wir zu diesem Zeitpunkt natürlich beide noch nicht. Aber da Frau M. jetzt viel ruhiger und „sortierter“ ist als noch vor zwei Stunden, stehen die Chancen gut, dass sie ihre Tochter nicht nur mit ihren eigenen Ängsten und Bedenken überhäuft, sie mit ihrer eigenen Unruhe ansteckt, sondern dass ihre neu gewonnene Klarheit das Gespräch positiv beeinflusst.

Ich fühle mich ein wenig unbefriedigt. Hätte ich nicht viel mehr tun müssen? Hätte ich nicht mit brillanteren Coaching-Methoden aufwarten müssen? Nein, sage ich mir nach einigem Überlegen. Reden war genau das, was Frau M. heute brauchte, und nur das zählt.

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