Kochkunst

„Was, Sie kochen?“ fragt mich entgeistert ein Kunde, mit dem ich seit Jahren zusammenarbeite. „Aber doch nicht jeden Tag? Dabei dachte ich immer, Sie sind so‘ne feministisch Beschleunigte!“ Er hat mich angerufen, als meine Hände gerade tief im Pizzateig stecken und ich das Telefon zwischen Kinn und Schulter balancieren muss. Seine Frage kommt mir so dumm vor, dass mir erstmal die Spucke wegbleibt. Ja, ich koche – leidenschaftlich gern und fast jeden Tag. Manchmal sind wir abends bei Freunden, dann kochen die, oder im Restaurant, dann kochen Profis, und selten schmeckt es uns so lecker wie zu Hause. – Na und? Schließlich esse ich auch leidenschaftlich gern – jeden Tag.

Eigentlich ganz einfach. Aber natürlich weiß ich, was hinter der Frage steckt. Meine Generation von Frauen – und Männern – ist in einer Kultur aufgewachsen, die uns eintrichtern wollte, dass Selbstverwirklichung, Erfolg, Lebensglück gar, nur durch Lohnarbeit zu haben sei. Am Gymnasium, wo wir Leistungsträger der Zukunft ausgebildet wurden, ist so etwas wie Hauswirtschaftslehre gar nicht erst unterrichtet worden – warum auch? Wäre ja Ressourcenverschwendung gewesen. Mit unseren anstrengenden Powerjobs, mit all den Überstunden im Namen von Emanzipation und Gleichberechtigung würden wir doch später überhaupt keine Zeit haben, aus frischen Zutaten eine Mahlzeit zuzubereiten. Wozu gibt es schließlich Mikrowellen und Tiefkühltruhen?

Denn während wir uns in geschäftigen Großraumbüros verwirklichten, sollten unsere weniger begabten Mitmenschen am Fließband stehen und aus Konservierungsstoffen, naturidentischen Aromen, Geschmacksverstärkern und anderen Errungenschaften der Lebensmittelchemie etwas massenproduzieren, was sich dann von unseren Kollegen aus der Werbebranche als Gourmetkost für Gehetzte vermarkten ließ. Die perfekte Arbeitsteilung: Alle profitieren. Und zur Entspannung werden Kochshows im Fernsehen geguckt. – Nein, das ist keine Verschwörungstheorie. Schauen Sie doch mal in die Einkaufskörbe Ihrer Nachbarn, wenn Sie das nächste Mal an der Schnellkasse in der Schlange stehen.

Apropos Schnellkasse: Die Beschäftigung bei den großen Supermärkten, dem nächsten Glied in unserer Nahrungskette, bietet zugegebenermaßen wenig Raum zur persönlichen Entfaltung und kreativen Verwirklichung – aber immer noch besser, als zu Hause am Herd zu stehen! Mal ganz abgesehen davon, dass es in immer mehr Haushalten zwei Brotverdiener braucht, damit alle satt werden. Ob ich meinen Kunden zurückrufen und ihn über all diese vertrackten Zusammenhänge aufklären soll? Lieber empfehle ich ihm Frau Burkhardts Text zu einem verwandten Thema.

Und beglücke ihn mit diesem Zitat aus Barbara Kingsolvers wunderbarem Buch „Animal, Vegetable, Miracle“: „Als wir den Haushalt gegen die Karriere eintauschten, ging damit das unausgesprochene Versprechen wirtschaftlicher Unabhängigkeit und öffentlichen Einflusses einher. Aber in Bezug auf den Alltag hat sich das als ein Teufelspakt herausgestellt“, so die amerikanische Schriftstellerin, beileibe keine Eva Heimchen, sondern eine studierte Ökologin mit nachahmenswertem Lebensstil. „Als die Frauen meiner Generation der Küche den Rücken kehrten, wies uns eine profitgierige Lebensmittelindustrie den Weg, die uns rasch als übermüdete, empfängliche Zielgruppe ausgemacht hatte. ‚Hey, Ladies‘, ermunterte sie uns, ‚weiter so, emanzipiert euch ruhig. Wir sorgen dafür, dass das Essen auf den Tisch kommt.‘ Sie rissen uns die Tür weit auf, und wir marschierten auf eine Ernährungskrise und eine wahrhaft giftstoffhaltige Lebensmittelversorgung zu. Wenn Sie glauben, giftstoffhaltig sei übertrieben, dann lesen Sie mal, was auf der Packung zum Umgang mit ungekochtem Hähnchenfleisch aus der Massentierhaltung steht.“

Als meine Eltern Anfang der Achtziger ihr Einfamilienhaus kauften, war meine Mutter – deren vorsintflutliche Entscheidung, Hausfrau statt Wissenschaftlerin zu werden, mir damals, aber das nur nebenbei, als eine der ganz großen Tragödien des 20. Jahrhunderts erschien – entsetzt über die winzige, schlecht zu lüftende Küche: kaum größer als das Gästeklo; kaum Flächen, um etwa einen Strudelteig hauchdünn auszurollen, die Brotschneidemaschine aufzustellen oder mehrere Gänge gleichzeitig vorzubereiten; erst recht kein Platz für uns Kinder, um ihr beim Kartoffelschälen zu helfen, rohes Gemüse zu naschen, Töpfe und Schüsseln auszulecken, Spaghettisoße umzurühren, Zimtsterne auszustechen, eine selbst ausgedachte Geschichte vorzulesen oder zu erzählen, was der verhasste Mathelehrer wieder Unerhörtes von sich gegeben hatte. „Wieso, mehr brauchen Sie doch heutzutage nicht mehr“, sagte der Architekt verständnislos. Seine Frau sei vollauf glücklich damit.

Die Küche in unserer Berliner Altbauwohnung hat doppelt so viele Quadratmeter. Eigentlich ist sie mir immer noch zu klein. Am liebsten hätte ich eine Vorratskammer und eine sonnige Fensterbank voller Kräutertöpfe. Wenn ich nach stundenlanger Kopfarbeit den Computer ausschalte und das Radio aufdrehe; wenn ich die Ärmel hochkremple, warmen Pizzateig knete, bis er aufhört zu kleben, sondern Blasen wirft und geschmeidig wird, Knoblauch presse, Peperoni, Zwiebeln, Tomaten und Pilze schnippele, Käse reibe; wenn sich dann die ganze Wohnung mit dem Aroma frisch gebackener Pizza füllt – dann habe ich endlich das Gefühl, heute etwas geschafft zu haben. Den Abwasch übernimmt zum Glück mein feministisch beschleunigter Mann.

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