Mittwoch, 18. Februar 2009

Herzensdinge

„Heimat ist, wo mein Herz ist.“ Dieser Spruch stand auf einer Karte, die mir jemand vor einigen Jahren geschenkt hat. Ich hängte sie an meinen Kühlschrank und glaubte, dass ich tatsächlich Heimat für diesen Jemand geworden sei. Doch leider hatte ich mich getäuscht. Der Mann verschwand wieder aus meinem Leben und die Karte von meinem Kühlschrank. Damals begriff ich nicht, was passiert war. Heute weiß ich, dass man nirgendwo Heimat findet, solange man nicht in sich selbst zuhause ist.

Es gibt Menschen, die sind ständig auf der Jagd. Nach Erfolg, nach Anerkennung, nach Aufmerksamkeit. Erfolg ist für sie, wenn sich das Bankkonto beträchtlich füllt. Anerkennung heißt, dass die Massen ihnen zujubeln. Aufmerksamkeit bedeutet, dass jeder sie kennt. Ich nenne solche Menschen Glücksritter. Aber sie werden ihr Glück nie finden, denn sie suchen es an der falschen Stelle. „Glück ist da, wo mein Herz ist“, könnte ich in Anlehnung an den ersten Spruch sagen und ergänzend hinzufügen: Aber man findet sein Glück nur, wenn man es tief in seinem eigenen Inneren sucht.

Manchmal findet man aber in seinem Inneren nur Leere vor. Das passiert genau dann, wenn man nicht in sich selbst wohnt, sondern stattdessen ständig Untermieter im Leben anderer ist. Wenn man nur aus deren Kühlschrank lebt und für Notzeiten keine eigenen Vorräte anhäuft. Da wäre es dann angebracht, nach Hause zurück zu kehren, die Regale zu entstauben und endlich aufzufüllen.

Ich glaube nicht an Heilsversprechen und den schnellen Erfolg. Ich glaube auch nicht daran, dass man sein Glück auf der Straße finden kann. Aber ich glaube, dass man nicht nur eine Heimat, sondern auch eine große Zufriedenheit findet, wenn man ganz in sich selbst zuhause ist, wenn man bei sich angekommen ist, tief im eigenen Herzen.

Dienstag, 17. Februar 2009

„Reality is where the pizza guy comes from“

Antalya, März 2008: Am Spätnachmittag eines wunderschönen letzten Urlaubstages sitzen mein Liebster und ich auf einer Bank hoch über dem Meer, prosten der allmählich untergehenden Sonne zu und schauen Drachenfliegern zu, wie sie sich von einem Felsen stürzen, minutenlang in der Luft hängen, um dann auf dem steinigen Strand zu landen. In unserem Blickfeld befindet sich auch ein alter Mann mit zwei scheppernden, klirrenden schwarzen Plastiksäcken, der Böschung und Mülleimer nach leeren Flaschen durchwühlt. Schließlich ist er bei unserer Bank angekommen, spricht uns zunächst auf Türkisch an, gibt den Versuch aber schnell auf und wechselt zur Zeichensprache. Gestikulierend bedeutet er uns, wir mögen unsere Bierflaschen doch bitte dort drüben im Gebüsch verstecken, wenn wir sie ausgetrunken haben, damit er sie auf dem Rückweg mitnehmen kann. Kein Problem, nicken wir.

Da gesellt sich ein junger Mann zu uns, gut gekleidet, der mit seiner Freundin oder Ehefrau aus einem teuren Wagen ausgestiegen ist, um ebenfalls die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Wie sich herausstellt, hat er lange auf Zypern gearbeitet und spricht gut Englisch. Er fängt an zu übersetzen, was der Altglas-Sammler gesagt hat. Mein Mann unterbricht ihn: Wir haben schon verstanden, lächelt er. Der junge Türke lächelt zurück und macht uns ein großes Kompliment: „You have a nice understanding of human language“, sagt er.

Am nächsten Abend bin ich mir da nicht mehr so sicher. Zurück in Berlin, gehe ich zum Imbiss, um uns Pizza zu holen. (Falafel isst der Herr Gemahl nicht mehr, seit er gesehen hat, dass der Salat mit demselben Utensil ins Brot geschaufelt wird wie das Döner-Fleisch. Dadurch haben sich die Optionen für vegetarische Schnellkost in unserem Kiez drastisch reduziert.) Der Betreiber der Pizza-Bude ist Palästinenser, und weil er im Moment keine anderen Kunden hat, erzählt er mir von seiner verlorenen Heimat. „Mein Herz ist Stein geworden“, bekundet er voller Inbrunst, gerade als unsere Pizza aus dem Ofen kommt. „Das macht sieben Euro.“

So gut ich die menschliche Sprache beherrschen mag, sind wir – Nazi-Enkelin und Mann ohne Raum – doch nur zwei Rädchen im Getriebe der Dienstleistungsgesellschaft, und ich weiß keine bessere Antwort, als ihm mit einem gemurmelten „Stimmt so“ acht Euro auf den Tresen zu legen und mit meiner Pizza die Flucht zu ergreifen: Spinat, Feta und Spiegelei – in der Jerusalemer Altstadt wird diese Kombination an jeder Ecke als „arabische Pizza“ verkauft, in Neukölln heißt sie Ausländerpizza.

Samstag, 14. Februar 2009

Die schwedische Eroberung

Der Hamburger Stadtteil Altona hat eine sehr spannende, wechselvolle Geschichte, in der besonders die Skandinavier eine große Rolle spielen. So stand Altona bis 1864 unter dänischer Herrschaft, und mit den Schweden gab es etliche kriegerische Auseinandersetzungen, die nicht gut für Altona ausgingen. 1713 ließ ein schwedischer General ganz Altona systematisch Haus für Haus niederbrennen und vernichtete damit ein historisch gewachsenes Stadtbild.

Jetzt kommen die Schweden wieder – doch statt Angst und Schrecken lösen sie Begeisterung bei vielen Altonaern aus. Seit Monaten hält sich das Gerücht, dass IKEA mitten in Altona, in der Großen Bergstraße eine neue Filiale errichten will. Diese Woche fiel die Entscheidung in der deutschen Zentrale, und die Zustimmung der Konzernzentrale in den Niederlanden soll angeblich nur noch eine Formsache sein.

Wenn die Entscheidung positiv ausfällt, so entsteht in Altona IKEAS erste deutsche Innenstadt-Filiale, die natürlich ein etwas anderes Konzept haben wird als die Shops mitten auf der grünen Wiese. Denn in der Stadt gibt es weder Platz für riesige Parkplätze, noch wird man in der Lage sein, ein deutlich erhöhtes Verkehrsaufkommen zu bewältigen. IKEA setzt in seiner City-Filiale also auf Kleinmöbel und Accessoires. Eine SB-Möbelhalle wird es nicht geben, große Möbel müssen die Kunden sich liefern lassen.

Was ich gut an dieser Nachricht finde: Endlich geht es mal voran mit der Großen Bergstraße, die ein ruhmloses Dasein als heruntergekommene Schmuddelecke führt – und das, wo sie einst Deutschlands erste Fußgängerzone und absolute Vorzeigeadresse war. Doch das scheint fast so lange her zu sein wie der Schwedenbrand. Mittlerweile wird die Straße zum einen von Billigramschläden und zum anderen von zwei völlig verwahrlosten Betonklötzen dominiert. Das „Forum Altona“, in dessen seit Jahren leerstehenden Läden mittlerweile zahlreiche Künstler und Stadtteilprojekte Raum gefunden haben, wird komplett umgebaut und erhält nicht nur neue Shops (die Rede ist u.a. von zwei Supermärkten), sondern will auch zukünftig Raum für Kunstprojekte schaffen. Und das ehemalige Karstadt-Gebäude (Frappant), das ebenfalls seit Jahren verfällt und ein besonders schauriges Mahnmal an architektonische Verfehlungen der 70er Jahre darstellt, soll nun also abgerissen werden und einem IKEA-Neubau weichen.
Beide Konzepte bringen auf jeden Fall Leben in die Straße, von dem auch die umliegenden Einzelhändler profitieren werden. Das ist die gute Nachricht.

Dennoch weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Seit Jahren werden Diskussionen über die Zukunft der Großen Bergstraße geführt. Immer mal wieder gab es kleine, erfolglose Versuche, die Straße zu sanieren, die unterm Strich jedoch nur Geld gekostet haben (man denke nur an die diversen Umbauten des Straßenverlaufs von der reinen Fußgängerzone in die teilweise befahrbare Straße). Viele Anwohner wünschten sich bei Befragungen mehr Grün, Spielplätze, Parkanlagen, Wohnkonzepte für Jung und Alt, oder gar an Stelle des alten Karstadt-Gebäudes ein neues Schwimmbad als Ersatz für das Bismarckbad. Was bleibt von diesen Wünschen und Bedürfnissen? Herzlich wenig. IKEA müsste sich schon etwas ganz Besonderes einfallen lassen, um ein optisch ansprechendes Gebäude zu schaffen, das für die Menschen, die hier im Viertel leben, auch äußerlich eine echte Bereicherung wäre. Und auch die Pläne für das Neue Forum sehen nicht wirklich revolutionär aus. Wie sollten sie auch – schließlich hat man dieselben Architekten beauftragt, die vor dreißig Jahren diesen Betonklotz errichtet haben.
Nicht zuletzt ist in den letzten Jahren eine spannende Subkultur in den verfallenen Gebäuden entstanden – Ateliers, Cafés, Musikclubs, die das Viertel in jedem Fall bereichert haben. Die meisten dieser Projekte werden kein Geld haben, um in den umgebauten Gebäuden bleiben zu können – auch, wenn von der Stadt betont wird, dass eine Kulturetage im Neuen Forum vorgesehen ist. Aber da hätte man sicher noch andere, bessere Lösungen finden können. Konsum geht also wieder einmal vor Kultur. Das ist schade.

Ich bin jetzt aber erst mal gespannt, wie sich das Bild der Großen Bergstraße verändern wird. Ich kann mir und allen anderen Nachbarn jedenfalls nur wünschen, dass die neueste (schwedische) Eroberung dieses Stadtteils nicht wieder zu unserem Nachteil sein wird. Von Besetzungen und Verwüstungen haben wir Altonaer nämlich allmählich genug.

Mittwoch, 11. Februar 2009

Lesen und lesen lassen

Sie kennen das: In einem Roman, einer Kurzgeschichte haben Hauptfigur bzw. Erzähler einen ähnlichen persönlichen Hintergrund wie der Autor oder die Autorin. Nun können Sie wetten, dass bei jeder Lesung die allererste Frage aus dem Publikum lauten wird: Wie viel Autobiographisches ist an der Geschichte? Meistens, aber nicht immer wird sie von einer Frau um die Fünfzig gestellt, der man ihre Kulturbeflissenheit nicht unbedingt ansieht, obwohl sie Deutschlehrerin an einer Realschule ist.

Was steckt hinter dieser Neugier – reiner Voyeurismus oder etwa Sorge um die Authentizität des Gehörten? Was wäre denn die größere Kunst: diese spannenden, sensationellen, schrecklichen Ereignisse am eigenen Leib erlebt, mit eigenen Augen gesehen und sie dann zu Papier gebracht zu haben? Oder aber: sie sich von vorne bis hinten auszudenken, und zwar so überzeugend, dass ein Leser meinen könnte, sie seien wirklich passiert?

Wahre Begebenheiten wahrheitsgetreu nachzuerzählen? Oder: die Worte und Sinnbilder zu finden, um Gedanken - oder auch Fragen - zu formulieren, die etwas über das Wesen der Welt aussagen, darüber wie es sich anfühlt, wie es schmeckt, riecht, aussieht, (zu jener Zeit, an jenem Ort) Mensch zu sein? Mag sein, der Leser erlebt das ganz anders und möchte ausrufen: So ist es doch gar nicht! Aber eben dieses Zweifels beraubt er oder sie sich durch allzu großen Respekt vor der Authentizität des Autobiographischen. Denn natürlich schöpft jeder, der etwas erzählt, aus dem Schatz eigener Erfahrungen und Erinnerungen - ebenso wie aus dem Füllhorn seiner Fantasie.

Warum lesen wir überhaupt? Um uns an einem spielerischen oder auch kunstvollen Umgang mit denselben Worten zu erfreuen, die wir auf unseren Einkaufszettel schreiben oder für unsere unbeholfenen Versuche benutzen, uns miteinander zu verständigen? Um der lebenslangen Einzelhaft in unserer eigenen einsamen Haut zu entfliehen, zu der Tennessee Williams uns alle verdammt sah, und das Innenleben eines anderen Menschen zu ergründen?

Und warum schreiben wir? Um der Einzelhaft in unserer Haut zu entfliehen und ein Innenleben für unsere fiktiven Figuren zu erfinden? Um uns selbst zu zwingen, unsere Erfahrungen in semantische und syntaktische Strukturen zu fassen? Um in der Fantasie und auf dem Papier Erfahrungen zu machen, die uns im Alltag so nie möglich wären? Nur aus Buchstaben ganze Welten zu bauen, die es nie gegeben hat und niemals geben wird?

Frühlingserwachen

Soll ich Ihnen mal was sagen? So gespenstisch ruhig wie im Moment ging es in unseren Büroräumen noch nie zu! Die Chef sinnt darüber nach, wie sie ihr nächstes Opfer um die Ecke bringen soll. Ich – schlichteres Gemüt, das ich nun einmal bin – träume von Stränden, grünen Wiesen und dem ersten Marathon der Saison und warte auf einen Sonnenstrahl, der mich wachküsst: auf dass dem Winterschlaf die Frühlingsmüdigkeit folge! Und der Praktikant wünscht sich ganz gewiss, er wäre in einer aufregenderen virtuellen Wirklichkeit gelandet, wo er Drachen bezwingen, holde Knappen entjungfern, feindliche Königreiche erobern oder wenigstens ein Vermögen in Linden-Dollar scheffeln könnte, statt tagaus, tagein Kaffee zu kochen und Spam-Mails zu löschen. (Rührend, dass man sich soviel Sorgen um unser Wohlergehen macht – aber, liebe Kollegen und Kolleginnen aus der Marketingbranche, hier braucht niemand Wunderdiäten oder Wucherkredite, ehrlich nicht!)

Mittwoch, 4. Februar 2009

Zufriedenheit am Arbeitsplatz

Neulich habe ich von meinem allerersten Chef geträumt. Er war damals als Reitlehrer und Stallmeister für das Wohl und Wehe von zwanzig bis dreißig Pferden zuständig, ich sein Mädchen für alles. Es war einer der härtesten und am schlechtesten bezahlten – und bei weitem der befriedigendste Job, den ich je hatte. Sechs Tage die Woche verteilte ich Futter, mistete Boxen aus, hielt auf, wenn der Hufschmied kam, lud Heu und Stroh vom Wagen auf den Dachboden, wenn der Lieferant kam, fuhr mit dem Trecker den Misthaufen platt, half Reitschülern beim Putzen und Satteln und fror mir öfters beim Unterricht in der Halle Hände und Füße ab, während mein Chef in seinem warmen Büro saß und übers Mikrofon Anweisungen erteilte. Im Winter vereisten mir manchmal schon bei der halbstündigen Fahrradfahrt im Morgengrauen die Nasenhaare.

Mein Gehalt reichte gerade aus, um mein eigenes Pferd durchzufüttern. Mein Chef war launenhaft wie alle Chefs, mit denen ich im Laufe meines Berufslebens zu tun hatte, und an manchen Tagen konnte man ihm gar nichts recht machen. Aber meistens verstanden wir uns prima. Obwohl der Altersunterschied kaum zehn Jahre betrug – ich war Anfang Zwanzig, er Anfang Dreißig –, siezte ich ihn so selbstverständlich, wie er mich duzte.

Für die Mädchen, die ihre gesamte Freizeit im Stall verbrachten und um Pflegepferde oder auch nur um das Privileg buhlten, eines der Privatpferde trockenreiten zu dürfen, war ich halb große Schwester, halb großes Vorbild. Nur die Akademiker unter den Pferdebesitzern, Kollegen meines Vaters, wussten überhaupt nicht, wie sie mich behandeln sollten: als höhere Tochter oder niedrige Dienstmagd? Auch das verschaffte mir eine gewisse Befriedigung.

Aber das Beste an dieser Arbeit war, dass sich die Sinnfrage, die mich seither mal mehr, mal weniger plagt, überhaupt nicht stellte: Wer einmal ein paar Jahre lang jeden Morgen ein Stalltor aufgestoßen hat und mit einem vielstimmigen Wiehern willkommen geheißen wurde, weiß, was es heißt, etwas Nützliches zu tun.

Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
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Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
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