„Reality is where the pizza guy comes from“

Antalya, März 2008: Am Spätnachmittag eines wunderschönen letzten Urlaubstages sitzen mein Liebster und ich auf einer Bank hoch über dem Meer, prosten der allmählich untergehenden Sonne zu und schauen Drachenfliegern zu, wie sie sich von einem Felsen stürzen, minutenlang in der Luft hängen, um dann auf dem steinigen Strand zu landen. In unserem Blickfeld befindet sich auch ein alter Mann mit zwei scheppernden, klirrenden schwarzen Plastiksäcken, der Böschung und Mülleimer nach leeren Flaschen durchwühlt. Schließlich ist er bei unserer Bank angekommen, spricht uns zunächst auf Türkisch an, gibt den Versuch aber schnell auf und wechselt zur Zeichensprache. Gestikulierend bedeutet er uns, wir mögen unsere Bierflaschen doch bitte dort drüben im Gebüsch verstecken, wenn wir sie ausgetrunken haben, damit er sie auf dem Rückweg mitnehmen kann. Kein Problem, nicken wir.

Da gesellt sich ein junger Mann zu uns, gut gekleidet, der mit seiner Freundin oder Ehefrau aus einem teuren Wagen ausgestiegen ist, um ebenfalls die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Wie sich herausstellt, hat er lange auf Zypern gearbeitet und spricht gut Englisch. Er fängt an zu übersetzen, was der Altglas-Sammler gesagt hat. Mein Mann unterbricht ihn: Wir haben schon verstanden, lächelt er. Der junge Türke lächelt zurück und macht uns ein großes Kompliment: „You have a nice understanding of human language“, sagt er.

Am nächsten Abend bin ich mir da nicht mehr so sicher. Zurück in Berlin, gehe ich zum Imbiss, um uns Pizza zu holen. (Falafel isst der Herr Gemahl nicht mehr, seit er gesehen hat, dass der Salat mit demselben Utensil ins Brot geschaufelt wird wie das Döner-Fleisch. Dadurch haben sich die Optionen für vegetarische Schnellkost in unserem Kiez drastisch reduziert.) Der Betreiber der Pizza-Bude ist Palästinenser, und weil er im Moment keine anderen Kunden hat, erzählt er mir von seiner verlorenen Heimat. „Mein Herz ist Stein geworden“, bekundet er voller Inbrunst, gerade als unsere Pizza aus dem Ofen kommt. „Das macht sieben Euro.“

So gut ich die menschliche Sprache beherrschen mag, sind wir – Nazi-Enkelin und Mann ohne Raum – doch nur zwei Rädchen im Getriebe der Dienstleistungsgesellschaft, und ich weiß keine bessere Antwort, als ihm mit einem gemurmelten „Stimmt so“ acht Euro auf den Tresen zu legen und mit meiner Pizza die Flucht zu ergreifen: Spinat, Feta und Spiegelei – in der Jerusalemer Altstadt wird diese Kombination an jeder Ecke als „arabische Pizza“ verkauft, in Neukölln heißt sie Ausländerpizza.
deprifrei-leben - 17. Feb, 16:49

Toll beschrieben, aber dieses Wort Nazi-Enkelin passt gar nicht in dem Text rein. Vielleicht wolltest du auf Palästina und Juden anspielen, keine Ahnung.

Beate B (Gast) - 17. Feb, 18:47

Nicht nur, sondern auf die verzwickten, vertrackten historischen Zusammenhänge und Belastungen, denen wir auch in ganz banalen Alltagssituationen nicht entkommen können. Und wohl auch darauf, dass ich mich nicht nur wegen der Pizza, sondern auch wegen dieser Begegnung, bei der ich letztlich sehr mit meinen eigenen Unzulänglichkeiten unzufrieden war, stark an Israel erinnert fühlte. Und dort bist du als Deutsche tatsächlich Nazi-Enkelin, jedenfalls habe ich mich oft so gefühlt (zumal es bei mir leider sogar buchstäblich stimmt). Das ist die ehrlichste Antwort, die ich auf Deine Kritik geben kann. Für mich hat diese Begebenheit keinerlei "Moral" oder "Botschaft" oder so, sondern ich habe sie genauso (sprich: genauso verwirrend) aufgeschrieben, wie ich sie damals vor einem Jahr empfunden habe.

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