Samstag, 8. November 2008

Wrong Time Zone?

... stand beim Berlin-Marathon in Großbuchstaben über dem Helpdesk. In der Tat, wer hat nicht manchmal das Gefühl, sich in der falschen Zeitzone zu befinden, in einem anderen Rhythmus zu leben als die Mitwelt. Auf fachkundige Beratung in derart existenziellen Fragen hätte man freilich vergeblich gehofft – geholfen wurde dort nur Läufern, die ihren (nach der bisherigen Bestzeit zugeteilten) Startblock wechseln wollten.

Wie man eine Kolumne schreibt

Neulich war ich mit einer Freundin verabredet, die mir leicht verwirrt gestand, dass sie auf einmal den brennenden Wunsch verspüre, zu schreiben – und das, obwohl sie immer gedacht habe, sie könne gar nicht schreiben. Was ihr denn so vorschwebe, fragte ich. „Nun ja“, sagte sie, „Blogtexte bringe ich ja schon zustande, aber ich möchte mehr. Am liebsten würde ich Kolumnen schreiben.“

Ich war schwer begeistert. Kolumnen – ja. Die würde ich auch gern schreiben. Mein ganzes schriftstellerisches Vermögen präsentieren, so wie Carrie Bradshaw in Sex And The City locker und leicht über Sex und das ganze Leben drum herum schreiben, witzige Anekdoten über Kinder, Hunde und Großmütter preisgeben, freche Seitenhiebe auf Nachbarn und Kollegen austeilen. Die besten Kolumnen werden von den ganz Großen verfasst, von den Stars unter den Journalisten und Schriftstellern. Und in Zukunft auch von meiner Freundin und mir.

Wenn da nur nicht noch das eine oder andere Problemchen wäre. Meine Freundin bekannte nämlich, dass sie gar nicht wisse, wie man überhaupt Kolumnen schreibt. Ich musste zugebeben, dass auch ich in der Hinsicht recht ahnungslos bin. „Und weißt du, was noch schlimmer ist?“ Meine Freundin blickte vollkommen zerknirscht drein: „Ich wollte mal an einem Seminar zum Kolumnenschreiben teilnehmen, aber ich habe das Auswahlverfahren nicht bestanden.“ Das machte mich nun doch etwas unsicher. Wenn man es schon nicht schaffte, einen Platz in einem Seminar zum Kolumnenschreiben zu erhalten, wie sollte man es dann erst schaffen, einen Platz in einer Zeitung oder Zeitschrift zu ergattern? Mit Foto. Und regelmäßigen Beiträgen.

Mir fiel eine Frau ein, die Bücher wie am Fließband schreibt und in allen möglichen Zeitschriften Texte veröffentlicht, natürlich auch Kolumnen. Ganz nebenbei zieht sie auch noch vier Kinder groß und ist permanent in allen nur denkbaren Online-Foren und Communities präsent. Meiner Freundin und mir war nicht ganz klar, wie man so ein Pensum bewältigt kriegt, es sei denn, man legt sich einen Klon zu. Wir schafften es ja nicht mal, so unsere niederschmetternde Erkenntnis, in unserem kleinen, kinderlosen Haushalt regelmäßig sauber zu machen.

Aber was haben eigentlich Kolumnen mit Saubermachen und Kindererziehung zu tun? Im Grunde genommen gar nichts. Außer dass alle drei hervorragende Themen für eine Kolumne wären. Als ich mal das Wort „Kolumne“ googelte, stellte ich nämlich folgendes fest: Kolumnisten scheinen selbst gar nicht zu wissen, was eine Kolumne ist. Neben Kindererziehung und dem ewigen Kampf der Geschlechter schreiben sie offenbar über kein Thema so gerne, wie über die Frage, was eigentlich eine Kolumne ist. Na, wenn das alles ist, dann kann ich das auch. Und meine Freundin sowieso. Immerhin hat sie schon mal beinah an einem Kolumnen-Seminar teilgenommen.

Donnerstag, 6. November 2008

Kein Ort nirgends

In der Softwarebranche, belehrt mich ein guter Freund und Mentor, der seinen Wortschatz und seine Sprachzauberkünste ab und an einer einschlägigen Agentur zur Verfügung stellt, werde nicht übersetzt, sondern „lokalisiert“. Eine Technokraten-Vokabel mit Heideggerschem Echo, über das ich mir garantiert mehr Gedanken mache als alle Softpower-Lokalisatoren zusammen. Was soll das denn bedeuten, Kommunikationsbefehle werden aus dem Englischen ins Deutsche, Französische, Spanische, Katalanische, Italienische, Rumänische, Polnische, Tschechische, Ungarische, Finnische, Hebräische, Arabische, Indonesische, Thailändische, Vietnamesische, in die Sprachen der Hutu, Tutsi, Xhosa und der Klingonen geortet, verortet, erörtert – verlagert? Ist es eine Tarnformel, um die weltweite Kolonisierung geistiger Aktivität durch Speicherformate, Denkfunktionen und Problemlösungsstrategien aus dem Silicon Valley zu vertuschen? Oder, weniger paranoid gedacht, eher eine Standortbestimmung, eine Art mentales Navigationssystem, ohne das sich niemand auf den Datenautobahnen des globalen Dorfes zurechtfinden würde? Wie – nämlich: als Gegensatz oder aber als Synonym? – verhält sich die Lokalisierung zur Verfremdung, die einen unumgänglichen, freilich manchmal zwischen den Zeilen verborgenen Schritt in jedem Übersetzungsprozess bildet? – Und überhaupt: Warum heißt die Suchfunktion in englischen Programmen eigentlich „Find and replace“ und nicht „Search (and destroy)“?

Dienstag, 4. November 2008

Hoffnung

Grau und dunkel kommt er daher, der November. Morgens ist es neblig, kalt und feucht. Tagsüber wird es kaum besser, und die Dämmerung setzt täglich früher ein. Solche Tage sind für Depressionen bis hin zum Selbstmord wie geschaffen.

Früher, da gab es wenigstens noch Schnee und Eis im Winter, da hatte man richtig Spaß beim Rodeln und Schlittschuhlaufen. Und der Schnee ließ die Welt immer gleich viel heller und freundlicher erscheinen. Hach, was war das gemütlich, wenn man an der warmen Heizung sitzen und den Schneeflocken zuschauen konnte, die sanft vom Himmel schwebten. Und jetzt? Die Alster war 1997 zum letzten Mal so zugefroren, dass man sie offiziell betreten durfte. Dank des Klimawandels wurde es in Norddeutschland im neuen Jahrtausend bisher nie wieder so kalt, und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Wehmut macht sich breit über all die Veränderungen und Verluste.

Ich seufze leise und schaue auf den Kalender. Allerseelen, Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag. Nicht ohne Grund sind die Feiertage im Kirchenjahr so verteilt, dass ausgerechnet im November die sogenannten „Stillen Tage“ liegen. Wir erinnern uns an Verluste, Abschiede, Schmerz und Leid. Mehr Dunkelheit geht kaum.

Ich zünde an diesen Tagen stets Kerzen auf den Gräbern meiner verstorbenen Angehörigen an und finde jedes Mal, dass die kleinen roten Grablichter eine wehmütige Stimmung verbreiten, während sie versuchen, die Dunkelheit zu durchdringen. Im November fällt es schwer, Zuversicht zu entwickeln. Der ganze Winter liegt noch vor uns, wie soll man das nur aushalten, wenn man die Dunkelheit jetzt schon nicht mehr erträgt?

Die Kirchen haben das sehr trickreich gelöst und lassen den Stillen Tagen die Adventszeit folgen. Licht, Hoffnung, Zuversicht. Was will man mehr? Und wer diesen kirchlichen Tagen keine Bedeutung abgewinnen kann? Nun, der folgt einfach dem Rhythmus der Jahreszeiten: Bis Mitte Dezember werden die Tage immer kürzer – Depressionen inklusive. Kurz vor Heilig Abend (am 21. oder 22. Dezember) ist Sonnenwende und ab da geht es wieder spürbar aufwärts und auch die Feste werden gleich viel ausgelassener – Weihnachten, Silvester, Neujahr. So viel geballten Spaß gibt es sonst nur noch an Karneval.

Und eines Tages gibt es vermutlich auch wieder eine weiße Weihnacht und überhaupt einen ganz winterlichen Winter, da bin ich mir sicher. Denn bekanntlich stirbt ja die Hoffnung immer zuletzt.

Montag, 3. November 2008

Gelb, blau oder Schrott

Mit der Mülltrennung ist das so eine Sache. Jedes Mal, wenn ich den ganzen Abfall entsorgen will, der sich im Laufe eines langen Arbeitstags in meinem Kopf angehäuft hat, stehe ich vor neuen Problemen.
Sind die abgedroschenen Phrasen, die ich aus meinem Wortschatz aussortiert habe, Restmüll?
Kann auf dem Kompost der Ideen, deren Verfallsdatum abgelaufen ist, noch etwas gedeihen?
Die Scherben meiner Träume sind doch viel zu schade für den Glascontainer.
Dafür finde ich im Altpapier so manchen Gedankenfetzen, der sich garantiert wiederverwerten lässt.
Und der giftige Spruch, den ich mir verkniffen habe, weil der Praktikant schon wieder den Abwasch stehen gelassen hat – gehört der schon auf den Sondermüll?
Aber mal ganz ehrlich: Taugt dieses ganze Gerümpel nicht eigentlich nur noch für die Schrotthalde?

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Die fetten Jahre

Neulich bin ich beim Stadtbummel in eine politische Aktion geraten. Super, dachte ich, endlich mal ein paar junge Leute, die nicht den ganzen Tag chatten, Klingeltöne runterladen oder sich um ihre Karriere sorgen. Dann sah ich das Schild: „Jugend für Kernenergie“. Vor lauter Empörung habe ich zu Hause gleich meinen rostigen „Atomkraft? Nein Danke!“-Button hervorgekramt und mir an die Jacke gesteckt.

Der Praktikant zuckt die Achseln, als ich ihn am nächsten Tag zur Rede stelle, was zum Teufel mit seiner Generation los ist. „Wieso denn? Das Öl ist fast alle, mit Erdgas machen wir uns total von Russland abhängig, und diesen ganzen alternativen Quatsch, Solar- und Windkraft und so, das kannst du doch vergessen. Hierzulande jedenfalls. Wir sind schließlich eine führende Wirtschaftsnation und kein Dritte-Welt-Land. Atomkraft ist wenigstens sauber und belastet das Klima nicht. Tschernobyl und Sellafield, das sind doch uralte Geschichten, so was passiert heutzutage nicht mehr. Bei uns schon gar nicht.“ Ich schlage ihm vor, er soll sein Praktikum doch lieber bei der Atomlobby machen. „Und dann kannst du dich dort gleich als Pressesprecher bewerben!“ „Was bleibt uns denn sonst übrig?“ fragt er zurück. „Sollen wir etwa in Sack und Asche leben, nur weil ihr alles abgewirtschaftet und die ganzen Ressourcen verbraucht habt?“

Wir doch nicht. Immerhin gehören wir bekanntlich zur ersten Alterskohorte der Nachkriegszeit, die einen niedrigeren Lebensstandard hat als die eigenen Eltern. Bei jedem Besuch steckt mir mein Vater immer noch mindestens das Fahrgeld zu – als sie so alt waren wie ich, hatten sie schon ein Haus gekauft. Den Praktikanten rührt das nicht. „Und wenn schon. Euch geht’s doch gut, ihr musstet nicht mal Studiengebühren zahlen, und wenn ihr mal in Rente geht, kriegt ihr wenigstens noch ein bisschen Kohle vom Staat. Und was euer ‘Umweltbewusstsein’ angeht” – die Anführungszeichen sind seine hochgezogenen Augenbrauen, die sichtlich vor Sarkasmus prickeln – „Mann, ihr seid so was von heuchlerisch. Immer Wasser predigen von wegen ökologischen Fußabdruck verkleinern, Heizung runter, Licht aus, Computer abschalten und bloß nicht immer alles ausdrucken, und dann fliegst du nach Antalya, nur um an einem Marathon teilzunehmen!“

Ertappt. Dafür haben wir kein Auto, essen kein Fleisch, kaufen fast alles andere im Bioladen und heizen zu Hause wirklich erst dann, wenn kein noch so dicker Pullover mehr ausreicht. Im letzten Sommer haben wir sogar den Versuch unternommen, nicht nur Wasser zu predigen, sondern auch zu trinken, indem wir mit der Bahn statt mit dem Billigflieger zu den Schwiegereltern nach Südengland gereist sind. Dass uns dieses Vergnügen ungefähr viermal soviel kostete, mussten wir halt verschmerzen – das war uns unser gutes Öko-Gewissen wert. Bloß entpuppte sich der CityNightExpress, den die Bahn als hochmoderne Alternative für Dienstreisen anpreist, als osteuropäischer Bummelzug und traf in Berlin bereits mit über einer Stunde Verspätung ein. In Hannover fuhr er dann überhaupt nicht mehr weiter, was der Zugchef offenbar vollkommen normal fand und es nicht einmal für notwendig hielt, seine Fahr-„Gäste“ (unter Gastfreundschaft stelle ich mir was anderes vor, aber das nur nebenbei) über die Ursachen aufzuklären. „Wir warten auf die Kurswagen aus Kopenhagen, keine Ahnung, wann die kommen“, erklärte mir der Schaffner lakonisch. „Wenn Sie’s eilig haben, können Sie ja in vierzig Minuten mit dem ICE weiterfahren.“ Die zwei Stunden, die wir dann in Köln auf den nächsten Anschluss nach Brüssel warten mussten – den gebuchten hatten wir natürlich verpasst –, verbrachte ich in der Warteschlange im Reisezentrum, um unsere Fahrkarten von dem ganz und gar nicht hilfsbereiten Personal umschreiben zu lassen.

Die fünfstündige Bahnverbindung Köln–London kann ich übrigens absolut empfehlen (wenn’s im Tunnel nicht gerade mal wieder brennt oder die Eurostar-Mitarbeiter streiken). So macht Reisen Spaß! Aber ob wir uns und unserem Konto diesen Nachtzug ein zweites Mal antun, müssen wir uns noch schwer überlegen. Der Praktikant hat wohl nicht ganz Unrecht, eine solche Haltung als wenig konsequent zu kritisieren.

Abschied
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Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
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Nachgedacht
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