Hoffnung

Grau und dunkel kommt er daher, der November. Morgens ist es neblig, kalt und feucht. Tagsüber wird es kaum besser, und die Dämmerung setzt täglich früher ein. Solche Tage sind für Depressionen bis hin zum Selbstmord wie geschaffen.

Früher, da gab es wenigstens noch Schnee und Eis im Winter, da hatte man richtig Spaß beim Rodeln und Schlittschuhlaufen. Und der Schnee ließ die Welt immer gleich viel heller und freundlicher erscheinen. Hach, was war das gemütlich, wenn man an der warmen Heizung sitzen und den Schneeflocken zuschauen konnte, die sanft vom Himmel schwebten. Und jetzt? Die Alster war 1997 zum letzten Mal so zugefroren, dass man sie offiziell betreten durfte. Dank des Klimawandels wurde es in Norddeutschland im neuen Jahrtausend bisher nie wieder so kalt, und das wird sich vermutlich auch nicht ändern. Wehmut macht sich breit über all die Veränderungen und Verluste.

Ich seufze leise und schaue auf den Kalender. Allerseelen, Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag. Nicht ohne Grund sind die Feiertage im Kirchenjahr so verteilt, dass ausgerechnet im November die sogenannten „Stillen Tage“ liegen. Wir erinnern uns an Verluste, Abschiede, Schmerz und Leid. Mehr Dunkelheit geht kaum.

Ich zünde an diesen Tagen stets Kerzen auf den Gräbern meiner verstorbenen Angehörigen an und finde jedes Mal, dass die kleinen roten Grablichter eine wehmütige Stimmung verbreiten, während sie versuchen, die Dunkelheit zu durchdringen. Im November fällt es schwer, Zuversicht zu entwickeln. Der ganze Winter liegt noch vor uns, wie soll man das nur aushalten, wenn man die Dunkelheit jetzt schon nicht mehr erträgt?

Die Kirchen haben das sehr trickreich gelöst und lassen den Stillen Tagen die Adventszeit folgen. Licht, Hoffnung, Zuversicht. Was will man mehr? Und wer diesen kirchlichen Tagen keine Bedeutung abgewinnen kann? Nun, der folgt einfach dem Rhythmus der Jahreszeiten: Bis Mitte Dezember werden die Tage immer kürzer – Depressionen inklusive. Kurz vor Heilig Abend (am 21. oder 22. Dezember) ist Sonnenwende und ab da geht es wieder spürbar aufwärts und auch die Feste werden gleich viel ausgelassener – Weihnachten, Silvester, Neujahr. So viel geballten Spaß gibt es sonst nur noch an Karneval.

Und eines Tages gibt es vermutlich auch wieder eine weiße Weihnacht und überhaupt einen ganz winterlichen Winter, da bin ich mir sicher. Denn bekanntlich stirbt ja die Hoffnung immer zuletzt.

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