Kindheitsträume

Als ich klein war, wollte ich Pfarrersfrau werden, und falls das nicht klappen sollte, Schriftstellerin. Zur Vorbereitung verfasste ich ganze Wälzer über mein zukünftiges Familienleben. Sie bestanden aus gelochten weißen A5-Blättern (von „100 % Altpapier“, Blauem Engel oder FSC-Zertifizierungen waren wir damals weit entfernt), die ich sorgfältig durchnummerierte, mit Bleistiftzeichnungen illustrierte und mit bunten Wollfäden zusammenband. Mein Alter ego, die fiktionale Frau, die ich in zwanzig, dreißig Jahren sein wollte, hatte sechs Kinder – drei Mädchen und drei Jungen – mit burschikosen Namen wie Britta, Andrea, Dirk, einen Haufen Pferde und Hunde und ein uriges altes Fachwerkhaus. Der Vater der fröhlichen Brut kam eher selten vor, er musste halt das Geld ranschaffen, um all die hungrigen Mäuler zu stopfen.

Meine Hundephobie ist ja sowieso bekannt. Bald wurde mir auch klar, dass meine „Kinder, Küche, Kirche“-Karriere wohl immer eine Phantasie auf dem Papier bleiben würde und das Schriftstellerdasein meinen eigenbrötlerischen Neigungen viel eher entsprach. Von dem Erlös meines ersten Buches wollte ich mir eine kleine Insel kaufen und sie mit Pferden und Büchern bevölkern. Wenn mir nach Geselligkeit zumute war, würde ich zum Festland rudern oder liebe Freunde einladen, ansonsten meine Tage in mönchischer Stille und Besinnung verbringen und mich ganz meiner literarischen Berufung verschreiben.

Nachdem ich mit Hilfe eines äußerst knapp bemessenen Unterhaltsstipendiums vom Sozialamt, das damals noch nicht unter der lautmalerischen Bezeichnung „Hartz IV“ lief, zwei „erwachsene“ Romane geschrieben hatte, hätte ich mit den Ablehnungsbescheiden renommierter Verlage eine ganze Wand tapezieren können. Danach verschwanden die Manuskripte in der Schublade, und ich verschwendete meine schöpferischen Talente darauf, skeptischen Personalchefs die Lücken in meinem Lebenslauf als Kreativpausen zu verkaufen, dabei lacht sogar meine Rechtschreibprüfung über dieses Wort. Heute bin ich glücklich, wenn ich ab und zu ein Gedicht veröffentliche oder gar einen ganzen Band. Mein täglich Brot sind die Worte anderer Menschen. Als mich nach einer Lesung mal ein wohlmeinender, aber junger Mann fragte, ob ich vom Dichten leben könne, vermochte ich von Herzen darüber zu lachen.

Letzten Sommer lernte ich eine leibhaftige Schriftstellerin kennen. Sie ist Ende Zwanzig, schreibt anspruchsvolle, schöne Texte und war mir auf Anhieb so sympathisch, dass ich sie nicht einmal um ihren Erfolg beneiden konnte. Ihr Leben ist keine einsame Insel, sondern eine endlose Lesereise von einem Hotelzimmer zum nächsten, auf der ihr in zwanzig verschiedenen Sprachen immer wieder dieselben Fragen gestellt werden. Wenn sie an einem neuen Buch arbeiten will, muss sie ihre Verlegerin im Voraus bitten, ihr für ein paar Wochen sämtliche anderen Verpflichtungen vom Leib zu halten.

Trackback URL:
https://knotenpunkte.twoday.net/stories/5522498/modTrackback


Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren