Sonntag, 18. Januar 2009

Coaching mit Frau M. – Teil 3

Bei unserer nächsten Begegnung wirkt Frau M. sehr fröhlich.
„Sie glauben gar nicht, was für tolle Rückmeldungen ich auf die Frage nach meinen Stärken erhalten habe!“ ruft sie begeistert. Sie hat also tatsächlich ihre Hausaufgaben gemacht. „Meine Schwester hat mir einen richtig langen Text geschrieben und lauter Sachen aufgezählt, auf die ich von selbst gar nicht gekommen wäre. Und selbst mein Herr Sohn hat sich Gedanken gemacht.“
Die Entdeckung, dass Menschen, die ihr nahe stehen, Frau M. sehr viel zutrauen und sie für eine vielseitig begabte Frau halten, motiviert sie enorm.

Gemeinsam erstellen wir nun eine Liste all der Talente und Fähigkeiten, die Frau M. laut ihrer Freunde und Verwandten hat. Einige Begriffe fallen immer wieder, andere kommen nur vereinzelt vor. Wir gruppieren die Begriffe und fassen sie immer mehr zusammen, bis am Ende nur noch vier übrig bleiben. Diese vier schreibt Frau M. auf farbige Moderationskarten. Sie lauten „sportlich“, „organisiert gerne“, „kreativ“ und „motiviert andere gut“. Auf den Karten steht nichts von Kindern und auch nichts von Ehrenamt. Stört Frau M. das?
„Nein“, sagt sie. „Vielleicht war ich noch nicht auf dem richtigen Weg. Vielleicht muss ich noch mal in eine ganz andere Richtung denken.“
Sie starrt lange auf die Karten, legt sie schließlich auf den Fußboden, schiebt sie hin und her, stellt sich auf sie drauf und spürt, wie es sich anfühlt „sportlich“ oder „ein Organisationstalent“ zu sein.
„Für eine Fitnesstrainerin bin ich zu alt“, sagt Frau M. „Aber vielleicht gibt es ja in der Richtung etwas, was ich machen kann.“ Ich schlage ihr vor, zu einer Berufsberatung zu gehen und sich außerdem in dem Fitness-Studio, in dem sie regelmäßig trainiert, umzuhören. Frau M. zögert jedoch. Ihre Ängste und Minderwertigkeitsgefühle kommen wieder hoch.

Ich möchte sie nicht in dieser ängstlichen Stimmung nach Hause schicken und unternehme daher noch eine kleine Fantasiereise mit ihr.
„Was wäre wohl, wenn heute Nacht ein Wunder geschehen würde,“, frage ich, während Frau M. die Augen schließt. „Über Nacht sind all Ihre Zweifel verschwunden und wie aus dem Nichts taucht eine erfüllende Arbeit für Sie auf.“ Ich schmücke das Bild aus und lasse Frau M. Zeit, dieses schöne Gefühl zu genießen. Als sie die Augen wieder öffnet, sieht sie entspannter aus als noch vor zehn Minuten. „Da will ich hin“, sagt sie entschlossen. „Ich will dieses Gefühl von Glück spüren, wenn ich es geschafft habe.“
Das ist ein gutes Schlusswort für unsere heutige Arbeit und Frau M. verabschiedet sich zufrieden von mir.

Fortsetzung folgt

Montag, 12. Januar 2009

Tomaten im Dezember

Früher aßen die Menschen mit den Jahreszeiten. Im Sommer gab es frisches Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten, im Winter Eingemachtes, Gepökeltes, Getreide und Wintergemüse wie Kohl. Doch in einer Welt, in der man Jahreszeiten nur noch an der Mode festmacht (im Sommer leichte Kleidung und Sandalen, im Winter Wollmützen und Stiefel), sieht es in der Gemüseabteilung des Supermarkts das ganze Jahr über mehr oder weniger gleich aus. Gurken, Tomaten, Auberginen, Paprika findet man von Januar bis Dezember in jedem deutschen Laden, der Gemüse verkauft. Mittlerweile liegen in der Obstecke zwischen Orangen und Äpfeln sogar auch immer häufiger Kirschen und Erdbeeren, unabhängig von den Monaten, in denen sie in unseren Breiten gedeihen.

Die permanente Verfügbarkeit von Produkten, die in Deutschland nur zu bestimmten Zeiten wachsen, hat leider einen erheblich höheren Preis, als der Kunde bereit ist zu zahlen. Gerne vergessen wir, dass irgendwo auf dieser Welt Menschen ausgebeutet werden, damit wir billig und rund um die Uhr konsumieren können. Meistens leben und arbeiten diese Menschen so weit weg von uns, dass es sehr einfach ist, die Umstände zu verdrängen, unter denen unsere Kaffeebohnen angebaut, der Orangensaft hergestellt, die Jeans genäht wurde. Doch wie sieht es aus, wenn wir auf einmal entdecken, dass in einem unserer liebsten Urlaubsländer, mitten in Europa Menschen unter unwürdigen Umständen leben und arbeiten – damit wir uns den fragwürdigen Luxus von Tomaten im Dezember leisten können.

Im Altonaer Einkaufszentrum Mercado ist noch bis zum 17. Januar unter dem Titel "Gekentert im Plastikmeer" eine Ausstellung von Bodo Marks und Shelina Islam zu sehen. Die Beiden haben Menschen fotografiert, die in Almería in Südspanien in riesigen Gemüse-Plantagen arbeiten, die Hälfte von ihnen ohne Papiere, ohne Rechte. Sie sind Migranten aus Marokko und dem südlichen Afrika und verhelfen der spanischen Agrarwirtschaft zu einem enormen Geschäft, während sie Pestizide ohne Schutzkleidung ausbringen müssen, in Behausungen ohne Elektrizität und Trinkwasser hausen, für einen Hungerlohn bis zu 16 Stunden täglich schuften, Opfer von Gewalt werden. Ihren Arbeitgebern scheint es sehr gelegen zu kommen, dass sie Illegale sind und somit niemand nach ihren Rechten fragt.

Auch wir fragen nicht, sondern nehmen es als Selbstverständlichkeit hin, dass wir auch im Winter im Supermarkt frische Tomaten kaufen können, für knapp zwei Euro das Kilo. Wer nicht länger wegschauen möchte, sollte sich die Ausstellung ansehen, die in eindrücklichen Bildern kleine Geschichten erzählt, die unter die Haut gehen und den Preis bewusst machen, den andere Menschen für unseren Lebensstandard zahlen müssen.

Freitag, 9. Januar 2009

Ist die Welt noch zu retten?

Liebe Leser, bitte verzeihen Sie mir ausnahmsweise einen reichlich frivolen Beitrag zu einem Thema, das ich an sich durchaus ernst nehme.

Neulich in der Feinkostabteilung eines Kaufhauses meines Vertrauens. Statt David Foster Wallaces Rat zu folgen und mir vorzustellen, die anderen Leute in der Schlange, ganz zu schweigen von der transusigen Kassiererin, wären Menschen wie Sie und ich, vertiefte ich mich in den Inhalt einer Tiefkühltruhe voller Produkte eines bekannten US-amerikanischen Eisherstellers. „Making Poverty History“, stand auf einem der Becher, und damit war meine Kaufentscheidung schon getroffen. Wenn ich durch den Kauf eines Luxusartikels mit unverschämtem Kaloriengehalt und fragwürdiger Ökobilanz die Armut aus der Welt schaffen kann, bin ich doch sofort dabei! Zumal ein Blick in meinen Einkaufskorb mir bestätigte, dass ich schon auf einem ganz guten Weg war: eine Flasche Rotwein, ein Glas Honig aus fairem Handel (mit wem eigentlich – den Bienen?) und kontrolliert biologischem Anbau, ein Vitaminbrot sowie verschiedene Leckereien von der Käse- und Antipasti-Theke, Gesamtwert knapp 50 Euro. Armut (und sei‘s nur die eigene) abzuschaffen, indem man sie einfach ignoriert, ist auch eine Lösung.

Dienstag, 6. Januar 2009

Coaching mit Frau M. – Teil 2

Es ist einige Zeit vergangen, seit Frau M. ihre erste Coaching-Sitzung bei mir hatte. Heute ist unsere zweite Arbeitsstunde. Ich frage sie, wie es ihr in der Zwischenzeit ergangen ist.
„Ganz gut“, sagt Frau M. „Die Feiertage waren sehr schön, weil meine Kinder da waren und wir wie früher alle zusammen waren.“
Hat unsere gemeinsame Arbeit mit dem Lebensrad noch bei ihr nachgewirkt?
„Ja, schon. Ich war überrascht, wie viel Traurigkeit und Erschöpfung ich bei gewissen Themen verspürt habe. Ich wüsste gerne, wo das her kommt.“
Ich denke auch, dass es wichtig ist, diesen bedrückenden Emotionen nachzugehen. Aber soll das heute schon zum Thema werden, oder hat Frau M. vordergründig ein ganz anderes Anliegen?
„Was ist denn Ihr Ziel für unsere heutige Arbeit? Was möchten Sie erreichen?“ frage ich.
„Ich würde gerne mehr Klarheit darüber kriegen, wie es bei mir beruflich weiter gehen kann. Ich brauche ein paar Ideen“, sagt Frau M. Damit steht fest: Die tiefer liegenden Themen sind noch nicht dran. Es liegt ganz bei Frau M., was wir bearbeiten und in welche Richtung wir uns bewegen.

Ich stelle Frau M. einige Fragen über ihren beruflichen Werdegang und frage sie schließlich, was ihr denn in Zukunft wichtig sei.
„Ich möchte unter Leuten sein“, sagt sie sehr schnell. „Ich möchte Geld verdienen, um finanziell etwas unabhängiger zu sein und auch meine Kinder in der Ausbildung besser unterstützen zu können.“
„Und was noch?“ frage ich.
„Ich möchte Anerkennung kriegen.“ Sie zögert. „Zufriedenheit ist mir wichtig. Und das Gefühl, gebraucht zu werden.“
Möchte sie in ihren alten Beruf zurück kehren? Frau M. war Sekretärin in einer großen Firma. Die Arbeit hat ihr damals viel Spaß gemacht, aber sie ist realistisch:
„Ich bin viel zu lange raus aus allem. Ich kenne mich mit den modernen Computerprogrammen nicht aus. Und mein Englisch ist auch schlecht, aber das braucht man heute fast überall.“ Sie lässt die Schultern hängen und sieht unglücklich aus. „Außerdem will so eine alte Schachtel wie mich doch niemand mehr haben.“
„Nun ja“, sage ich freundlich, „Sie müssen sich ja auch nicht gleich als Assistentin der Geschäftsführung bewerben. Aber es gibt sicher auch für Sie Möglichkeiten für einen Neustart. Können Sie sich denn vorstellen, etwas ganz anderes zu machen?“
Frau M. nickt, schweigt, denkt nach. Schließlich sagt sie leise und sehr vorsichtig, als traue sie sich kaum, es auszusprechen:
„Ja, schon. Manchmal hab ich gedacht, irgendwo ehrenamtlich anzufangen, mit Kindern zu arbeiten oder so. Aber ein bisschen Geld wäre natürlich auch nicht schlecht.“
Ich finde das eine sehr gute Idee. In einem Ehrenamt ist man nicht so unter Druck und kann sich ausprobieren. Doch Frau M. ist ratlos. Wo soll sie sich hinwenden? Wie anfangen? Sie kommt mir vor wie ein Bär, der behäbig aus dem Winterschlaf in den Frühling tappt und sich zwischen all dem frischen Grün und in der hellen Sonne erst mal orientieren muss. Die Welt da draußen sieht ganz anders aus als im vergangenen Herbst, als der Bär in seine Höhle kroch, und doch ist es immer noch dieselbe Welt.

Ich schlage Frau M. eine Übung vor, die ihr bei ihrer Zielfindung helfen kann. Sie willigt ein und ich bitte sie, aufzustehen und mit mir in die Mitte des Raumes zu kommen. Ich erkläre Frau M. das Prinzip der Walt Disney-Strategie. Diese Übung dient dazu, kreative Prozesse in Gang zu bringen. Ich lasse Frau M. drei farbige Karten beschriften, die sie im Raum verteilt. Jede der Karten markiert eine innere Stimme in ihr. Es gibt den Träumer oder Visionär, der alles machen darf, wonach ihm gelüstet. Der Kritiker hat immer wieder Einwände, sieht Hindernisse und Gefahren und bremst den Träumer in seinem Überschwang aus Der Realist schließlich überprüft die verrückten Ideen des Träumers auf ihre Alltagstauglichkeit und die Einwände des Kritikers auf ihren Wahrheitsgehalt.
Ich konfrontiere Frau M. nun mit ihren inneren Stimmen, indem ich sie von Karte zu Karte führe und sie darin unterstütze, sich in diese Gedanken- und Gefühlswelten hinein zu begeben. Als sie auf dem Platz der Träumerin steht, wirkt sie entspannt und gelöst. Sie redet fröhlich über ihren Traum, mit Kindern zu arbeiten. Aber es kommen auch andere Aspekte hinzu. Ihre sportlichen Aktivitäten und ihr gesundheitsbewusstes Leben spielen auf einmal eine Rolle. Und die Sehnsucht, zu reisen. Die Kritikerin nimmt Frau M. jedoch allen Mut. Ähnlich wie in unserem Gespräch zuvor wirkt sie in dieser Rolle mutlos, äußert Ängste und Minderwertigkeitsgefühle. Die Realistin schließlich entwickelt erste Lösungsideen. Sie erinnert an Situationen, in denen Frau M. sehr erfolgreich Neues bewältigt hat. Und sie weist darauf hin, dass es gerade für Menschen wie Frau M. viele Weiterbildungsmöglichkeiten gibt.
Symbolisch tauschen die drei inneren Stimmen ihre Gaben untereinander aus. Die Realistin untermauert die Ideen der Träumerin mit handfesten Vorschlägen. Die Kritikerin erhält von den anderen Beiden Zuversicht, wird aber auch in ihrer Rolle als Beschützerin gewürdigt, die es mit ihren Ängsten und Sorgen doch nur gut meint und Frau M. vor Überforderungen bewahren will. Die Träumerin gibt Frau M. abschließend einen Ratschlag mit auf den Weg:
„Du darfst glücklich sein.“ Sie strahlt, als sie diesen Satz formuliert.
Der Prozess ist sehr intensiv, sehr emotional, aber auch sehr spielerisch.

Als wir fertig sind, schaut Frau M. nachdenklich zurück.
„Dass der Sport auch eine Rolle spielen könnte, war mir gar nicht so klar“, sagt sie. Und: „Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich meine Ängste überwinden kann. Die Vorstellung, dass ich sie nicht immer nur verdrängen muss, sondern sie auch ihren Platz und ihre Berechtigung haben, finde ich sehr spannend.“

Ich gebe Frau M. eine Hausaufgabe mit auf den Weg: „Suchen Sie sich in Ihrem Freundes- und Familienkreis fünf Menschen, die aufschreiben sollen, welche Gaben und Talente Sie haben. Bringen Sie diese Texte bitte zu unserer nächsten Sitzung mit."

Frau M. wirkt sehr nachdenklich, als sie sich verabschiedet. Sie hat heute zum ersten Mal ein Gespür dafür bekommen, wohin ihre Reise gehen kann und welche Hindernisse unterwegs warten. Noch hat sie kein Ziel konkret formuliert und kein Hindernis wirklich beseitigt. Aber sie hat sich auf den Weg gemacht und einen Prozess in Gang gebracht, der sich nicht mehr so leicht aufhalten lässt.

Fortsetzung folgt

Montag, 5. Januar 2009

Streichelzoo

Unser Praktikant startet voller Elan ins neue Jahr, während ich immer noch vergeblich versuche, den fetten Kater zu zähmen, den ich zu Silvester bekommen habe. Er schlägt seine Krallen in meine Synapsen und faucht schon ganz böse, wenn ich nur zum Telefonhörer greife, um einen Termin zu verschieben.

Never mind. Der Praktikant jedenfalls hat als Neujahrsüberraschung für uns im Flur eine Hausordnung aufgehängt. Klar, eigentlich hätte er uns fragen sollen, bevor er unsere Büroräume verschönt. Andererseits finden wir es auch positiv, wenn er ein wenig Eigeninitiative entfaltet. Er ist unser allererster eigener Praktikant, und wir wissen manchmal nicht so recht, ob wir ihn als unser Schoßhündchen oder unseren Dienstboten behandeln sollen. Aber wir lernen jeden Tag dazu.

Der Steuerberater von nebenan hat sich schon in die Lektüre vertieft. Die Paragraphen VI und VII scheinen es ihm besonders angetan zu haben. Er ist vorbeigekommen, um uns einen guten Rutsch zu wünschen. Ich stelle fest, dass ich seine Gedanken lesen kann: „Früher oder später braucht ihr mich bestimmt“, steht in einer Sprechblase über seinem Kopf. Aus seinem Mund kommt etwas anderes: „Tja, damals war die Welt noch in Ordnung“, sagt er. „Im 19. Jahrhundert hätte kein deutsches Unternehmen teures Geld für Kaizen-Schulungen ausgeben müssen!“ Huch – schaut der etwa regelmäßig in unser Blog, oder woher kennt er meinen Text? Wie schmeichelhaft! Wie unheimlich!

Ich ringe mir ein müdes Lächeln ab. Früher oder später brauchen wir ihn bestimmt. „Wissen Sie, wenn ich diese Regeln nur eine Woche lang einhalten würde, müsste ich garantiert teures Geld für eine Traumatherapie ausgeben!“

Abschied
aus dem kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
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