Liebe wird aus Mut gemacht

„Am liebsten würde ich meinen Job hinschmeißen und eine Zeitlang gar nichts machen“, sagt eine Bekannte, und sie sagt es in einem so nachdenklichen Ton, dass ich weiß, es ist nicht nur so im momentanen Frust dahergeredet. „Und zu deinem Freund ziehen?“ frage ich. Er hat eine gut bezahlte Stelle in einem EU-Nachbarstaat, und die beiden sehen sich bestenfalls alle paar Wochen. Meine Bekannte nickt.

Ich möchte ihr allerhand zu bedenken geben: Willst du dich wirklich von einem Mann abhängig machen, mit dem du bisher nur im Urlaub zusammen gelebt hast? In einem Land noch dazu, wo du nicht mal die Sprache beherrscht? Ohne eigene Berufsperspektiven? Warum wartest du nicht ab, ob du ihn in zwei Jahren immer noch liebst? Aber Bedenken hat sie erstens selber genug, und zweitens verfüge ich auf diesem Gebiet weder über Frau Burkhardts professionelle Kompetenz, noch würde ich mich auch nach neunzehn weitgehend geglückten gemeinsamen Jahren jemals als Expertin für Männerhaltung ausgeben wollen.

Statt dessen zitiere ich Nena. „Liebe wird aus Mut gemacht“: aus Übermut, aus Wagemut, aus Wehmut – und manchmal, seien wir doch ehrlich, aus einer gehörigen Portion Wankelmut. Mit Anfang Zwanzig, bis über beide Ohren verliebt und von einer monatelangen Fernbeziehung emotional ausgezehrt, erschien es mir einst kein großes Ding, ihn zu überwinden. Später werden die Hürden immer höher. In unserem Freundeskreis erleben wir gerade, wie ein alter Junggeselle damit hadert, dass seine Freundin, ihrerseits Langzeitstudentin mit ebenso vielen Semestern WG-Erfahrung, eine Wohnung geerbt hat, in die er nun mit ihr einziehen soll. Ein eigenes Arbeitszimmer hat er schon ausgehandelt; nun müssen Designer-Regale für seine CD-Sammlung her, die sich bisher wüst auf dem Boden stapeln durfte. Wer an welchen Wochentagen kochen und putzen muss, ist noch nicht raus.

Ein anderes Pärchen, zwei ehrgeizige Akademiker, die sich absolut nicht vorstellen können, außerhalb der Uni zu arbeiten, hangelt sich von einem Kompromiss zum nächsten: er in Bulgarien, sie in Detroit; beide in Kanada, er auf einer Professur, während sie sich mit mageren Lehraufträgen begnügt. Und eine Freundin aus Übersee, die eine Aufenthaltsgenehmigung, aber keine Arbeitserlaubnis hat, erzählt mir immer wieder, wie schwer es ihr fällt, nichts zur Haushaltskasse beitragen zu können. Mit der behördlich auferlegten Heirat wird sich wenigstens das ändern. Selbst Michelle Obama, deren Ehe in den Medien mal als glamouröse Traumromanze, mal als postfeministisches Ideal gefeiert wird, bekannte jüngst in einem sehr offenherzigen Interview, wie schwierig es sein kann, ihr Leben mit dem mächtigsten Mann der Welt zu teilen.

Manchmal ertappe ich mich bei dem ketzerischen Gedanken, ob nicht früher doch alles einfacher war: als man von seinem Gehalt eine ganze Familie ernähren konnte und frau sich mit der Hochzeit oder spätestens mit der Geburt des ersten Kindes ganz selbstverständlich in finanzielle, ja in existenzielle Abhängigkeit von ihm begab. Diese Zeiten sind vorbei – zum Glück: Dass noch heute Frauen – oft, aber längst nicht immer – die größeren Opfer bringen, von der First Lady bis zu meiner unschlüssigen Bekannten, steht auf einem anderen Blatt. Trotzdem kann ich sie nur ermuntern, sich auf das Wagnis einzulassen, ihrem Herzen einen Ruck und ihrer Beziehung eine Chance zu geben. Vielleicht wird daraus etwas Dauerhaftes, bis dass der Tod sie scheidet, vielleicht auch nur ein kurzes Abenteuer in der Fremde; vielleicht lernt sie, ihren Gefühlen nie wieder zu trauen, oder vielleicht wird sie beim nächsten Mal von Anfang an klarer wissen, was sie will und was nicht – alles besser als das Bedauern über eine ausgeschlagene Gelegenheit, eine nie gelebte Erfahrung!

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