Motivation (und all dieser Psycho-Kram)

Heute morgen hat der Praktikant mir doch tatsächlich einen Kaffee an den Schreibtisch gebracht – auch noch in meinem Lieblingsbecher, den er extra abgewaschen haben muss. Hätte ich nicht geahnt, dass er etwas von mir will, ich wäre richtig gerührt gewesen. Nach ein bisschen Herumgedruckse rückte er mit seinem Anliegen heraus.
„Sag mal, Beate, würdest du dich eigentlich coachen lassen?“
Ach herrje. Wenigstens geht es nicht schon wieder um sein Gehalt. „Wie kommst du denn darauf?“ frage ich zurück. „Meinst du, ich hätte das mal nötig, ja?“
„Na ja, wenn ich‘s richtig verstehe, geht es doch hauptsächlich darum, sich Rat zu holen, wo man nicht so recht weiter weiß. Das könnten wir doch alle manchmal ganz gut gebrauchen! Meine Mutter sagt immer, früher sind die Leute halt mit ihren Problemen zum Pfarrer gegangen, und heute schlagen sie sich alleine damit herum.“
„Ich hab gar nicht die Kohle für so was.“
„Wieso, du hast doch gerade über hundert Euro für deine komischen veganen Stiefel ausgegeben! Und dann rennt ihr ständig in Konzerte von irgendwelchen obskuren Retro-Bands ... Katharina sagt, du musst selber wissen, wie viel du dir wert bist: ob du dein ganzes Geld für Statussymbole und Vergnügen ausgeben oder in nachhaltige Veränderungen investieren willst.“
Nun bin ich doch schwer beeindruckt. „Mensch, Prakti, manchmal hörst du ja richtig zu, wenn wir dir was erklären. Hätten wir gar nicht von dir gedacht!“
„Weißt du“, sagt er abrupt, „ich mach mir halt Sorgen um meine Mutter. Von unserm Alten ist sie ja schon ewig geschieden, und jetzt, wo meine Schwester und ich auch aus dem Haus sind, habe ich echt das Gefühl, ihr fällt ganz schön die Decke auf den Kopf. Jedenfalls liest sie Katharinas Coaching-Texte immer total aufmerksam. Glaubst du, das wär‘ was für sie?“
„Woher soll ich das wissen, ich kenn‘ deine Mutter doch gar nicht. Warum ruft sie nicht einfach mal an und macht einen Termin mit Katharina?“
„Hab ich ihr auch schon gesagt. Aber ich glaube, sie traut sich nicht.“
„Wieso ‚traut‘? Wovor hat sie denn Angst“
„Na ja, sie sagt halt, sie weiß gar nicht, was da auf sie zukommt, wie so was überhaupt abgeht und mit welchen Erwartungen sie da selber rangehen kann. Würde Katharina ihr zum Beispiel auch praktische Tips geben, an was für Stellen sie sich konkret wenden kann, um noch was Neues anzufangen? Oder geht es beim Coaching wirklich nur um Motivation und so‘n Psycho-Kram?“
„Weißt du, wahrscheinlich solltest du den ‚Psycho-Kram‘ nicht unterschätzen. Wer einmal weiß, wo er hinwill, findet den Weg meistens selbst.“
„Oder sie“, sagt der Praktikant. Braver Junge. Ich als alte Feministin habe den tagtäglichen Kampf um eine gerechte Sprache längst aufgegeben, mensch wird dann immer nur blöd angeguckt. Und wenn ich beim Übersetzen auf dem Binnen-I bestehen würde, hätte ich vermutlich bald keine Aufträge mehr.
„Du, ich kenn‘ mich damit genauso wenig aus wie du. Warum fragen wir Katharina nicht einfach, wenn sie nachher kommt? Vielleicht schreibt sie ja mal einen Text für Menschen wie deine Mutter.“
„Äh, Beate ...“, sagt der Praktikant mit einer Kopfbewegung in Richtung Tür. Ich drehe mich um, und dort steht sie schon und grinst übers ganze Gesicht.
„Wisst ihr was? Ihr solltet glatt mal einen Werbefilm für meine Firma drehen! Eure Dialoge sind bloß ein wenig langatmig, um nicht zu sagen lahmarschig ...“
„Man könnte sich ja ein, zwei knackige Wortwechsel herausgreifen“, schlägt der Praktikant vor. Er sieht sich wohl schon als Filmstar.
Katharina lacht. „Den Rest des Drehbuchs schreibe ich lieber selber, ihr beiden Helden habt ja wirklich null Ahnung davon, was ich so mache. – Mensch, Beate, bei dir sieht‘s ja mal wieder aus wie Kraut und Rüben. Könntest du nachher bitte deine Tür zumachen, ich kriege Kundenbesuch?“

Fortsetzung folgt

Trackback URL:
https://knotenpunkte.twoday.net/stories/5331957/modTrackback


Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren