Gedenken

Viele Menschen waren gestern am Totensonntag auf den Friedhöfen unterwegs, um im Gedenken an geliebte Verwandte und Freunde Blumen und Tannengestecke auf die Gräber zu legen. Bei frostigen Temperaturen und fahlblauem Winterhimmel besuchte auch ich das Grab meiner Eltern, ließ meine Erinnerungen treiben, zündete ein Licht an und sammelte ein paar dunkelrote Ahornblätter von der hartgefrorenen Erde auf.

Die Menschen, die mir begegneten, kamen meistens in kleinen Gruppen daher, Alte und Junge, Verwandte, Freunde, die sich zum gemeinsamen Erinnern auf den Weg gemacht hatten. Nur Wenige waren, so wie ich, alleine unterwegs, und es waren immer Frauen. Wir schauten einander wissend in die Augen und gingen anschließend schweigend weiter. Wir Frauen sind oft alleine mit unserer Trauer. Nicht nur, weil die Männer meistens viel früher sterben und ihre Frauen zurücklassen, sondern auch, weil Frauen öffentlicher trauern. Sie gehen auf den Friedhof, pflegen die Gräber, schmücken sie mit Blumen, Steinen und anderen Symbolen ihrer Liebe. Sie sprechen über ihren Verlust, ihren Schmerz, ihre Erinnerungen. Sie schämen sich nicht, auch nach vielen Jahren noch Tränen zu vergießen, weil sich die Lücke nie schließen ließ, die jemand hinterlassen hat.

Männer machen ihre Trauer häufig still mit sich selbst ab. So, wie es ihnen immer noch schwerer als Frauen fällt, über Gefühle zu sprechen, so finden sie auch für das Abschiednehmen und Gedenken andere, weniger öffentliche Wege. Für uns Frauen ist das manchmal schwer auszuhalten, weil wir glauben, die Männer würden nicht trauern, sie würden ihren Schmerz verdrängen. Doch das ist keineswegs so, sie trauern eben nur anders. Es gibt kein Richtig oder Falsch beim Trauern. Wichtig ist nur, dass man für sich einen Weg findet, der stimmig ist, der zu einem selbst passt.

Oft hilft es, Trauer zu verarbeiten, indem man etwas mit seinen Händen macht. Daher gibt es viele Künstler, die sich intensiv mit Abschied und Gedenken auseinander setzen. Einige Ergebnisse sind jetzt in einer Ausstellung im Hamburger Lotsenhaus zu sehen. Vier Künstler haben sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Thema genähert. Die Bandbreite reicht von Keramiken über Metallskulpturen und florale Kunstwerke bis hin zu außergewöhnlich gestalteten Urnen und Särgen. Dabei hat diese Ausstellung nichts Morbides oder Effekthaschendes an sich. Es sind vielmehr die leisen Töne, die hier überwiegen. Es geht um eine würdevolle Auseinandersetzung mit dem Tod, um den Versuch einer Annäherung an etwas, das vielen Menschen Angst macht und das sie lieber verdrängen möchten. Und doch können wir das nicht. Kaum ein erwachsener Mensch ist noch nicht mit dem Tod konfrontiert worden, musste noch nicht Abschied nehmen von Großeltern, Eltern, Freunden oder gar Kindern.

Die Mitarbeiter des Hamburger Lotsenhauses schlagen nicht nur mit dieser Ausstellung Brücken. Sie stellen auch schön gestaltete Räume zur Verfügung, in denen alle Menschen, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, die Möglichkeit haben, Abschied zu nehmen und für sich selbst ihre ganz persönlichen Momente des Erinnerns zu schaffen. Vielleicht spricht dieser besondere Ort ja sogar Männer an, die es nicht so mit Friedhöfen und Blümchen haben, und ermutigt sie, neue Wege des Gedenkens zu finden.

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