Endlichkeit

Der Tod von Christoph Schlingensief hat mich erschüttert. Nicht, dass mir dieser Mann besonders nahe gewesen wäre und ich mich intensiv mit seiner Arbeit befasst hätte. Obwohl ich seinen Mut zur Provokation immer bewundert habe und es vor allem sehr schätzte, dass er seine Kunst immer wieder auch für soziale Projekte nutzte. Aber darum soll es hier gar nicht gehen.

Vor einem Jahr sah ich ein Interview mit Schlingensief im Fernsehen. Er gab sich trotz seiner schweren und deutlich sichtbaren Krebserkrankung wahnsinnig optimistisch und wirkte unfassbar energiegeladen. Ich saß bestürzt vorm Fernseher und war mir sicher, dass er nicht mehr lange leben würde – entgegen seiner eigenen, offiziell verkündeten Einschätzung. Ehrlich gesagt bin ich direkt erstaunt, dass er überhaupt noch so lange gelebt hat. Die Diagnose Lungenkrebs ist meines Wissens immer ein Todesurteil, das der Eine oder Andere lediglich ein klein wenig nach hinten zu schieben vermag.

Erschüttert hat mich die Erkenntnis, dass es nicht mehr nur Menschen im Alter meiner Eltern sind, deren Tod ich mittelbar oder unmittelbar erlebe, sondern immer häufiger Leute aus meiner eigenen Generation. Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, die mich in meinem persönlichen Umfeld viele Jahre lang begleitet haben oder eben ganz selbstverständlich in den Medien präsent waren. Einer wie der Schlingensief, so ein Querkopf, ein Kämpfer, ein Energiebündel, der wird doch nicht einfach krank und stirbt – mit noch nicht mal fünfzig Jahren. Das Gefühl von Endlichkeit wird durch seinen Tod für mich wieder einmal auf geradezu schmerzhafte Weise greifbar. Ich denke dann oft: Wenn es einen wie den trifft, bin ich dann vielleicht als Nächste dran?

Gleichzeitig weiß ich, dass unsere Lebenszeit nach einem undurchschaubaren Plan bemessen ist. Manche leben total gesund und sterben trotzdem mit 30 an Krebs. Andere rauchen ihr Leben lang Kette und werden 100 Jahre alt. Es gibt kein sichtbares System, an dem man sich festhalten kann. In Ecuador, so las ich neulich, gibt es ein Dorf, in dem die Leute alle uralt werden. Seit Jahrzehnten rätseln Wissenschaftler, woran das liegen mag. Eins steht fest: Es hat nichts mit einer nach unseren Maßstäben gesunden Lebensweise zu tun. Die Dorfbewohner konsumieren regelmäßig Drogen und essen auch nicht sonderlich gesund.

Wenn ich das so lese, dann kommt mir mein Leben noch viel mehr wie Russisches Roulette vor. Jeder Tag könnte der letzte sein. Und gleichzeitig tun wir alle so, als würden wir ewig leben. Das ist schon ein bisschen verrückt, oder? Aber in Momenten, in denen ich mit dem Tod konfrontiert werde, wird mir bewusst, wie kostbar jeder einzelne Tag ist und wie total irrsinnig es ist, dass wir tausende von Lebenstagen einfach so mit völlig unsinnigem Zeug verplempern. Sicher werde ich nun nicht mein gesamtes Leben umkrempeln, aber ein gelegentliches Innehalten, ein Hinterfragen all dessen, was meinen Alltag ausmacht, tut manchmal schon ganz gut. Schließlich ist unsere Zeit das kostbarste Gut, das wir haben.

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