Vom Glück und anderen Schweinereien

Das Leben könnte so schön sein im Moment. Jeden Tag scheint die Sonne, und das schon seit Wochen. Allen meinen Lieben geht es gut, bloß mein Vater zitiert auf Fragen nach seinem Befinden bevorzugt seinen Hausarzt: „auf niedrigem Niveau stabil“. Und meinem Schwager dämmert allmählich, dass Alkohol kein wirksames Mittel gegen Depressionen ist – ausgerechnet in Neuseeland, wo Männer mit Depressionen nach dem Motto If you can‘t fix it with number-nine wire, shoot it lieber zur Schrotflinte als zum Prozac-Döschen greifen: Wenn es sich nicht mit Allzweckdraht flicken lässt, schieß drauf!

Ich habe gerade genug Arbeit, um mir keine allzu großen Geldsorgen machen zu müssen, aber nicht soviel, dass es mich erdrückt. Das Lauftraining macht bei diesem Wetter besonders viel Spaß, die Freiluftkino- und Sommerbad--Saison steht vor der Tür, und auch auf ein paar tolle Konzerte können wir uns freuen. Sogar unser Nachbar, den wir samt Hund schon verschollen fürchteten, ist plötzlich wieder da und zankt so genüsslich wie eh und je mit seiner Frau. Was will ich mehr? Höchstens dies: dass nicht jedes Mal, wenn ich das Radio einschalte, eine Hiobsbotschaft nach der anderen in mein kleines Alltagsglück eindringt. Wer die Wirtschaftskrise überlebt, den wird die Schweinegrippe dahinraffen, oder war es umgekehrt? Wie auch immer, jedenfalls ist Leben eine unheilbare Erbkrankheit mit tödlichem Verlauf – und wehe dem, der das einen Augenblick lang zu vergessen wagt!

„Du darfst die Augen und Ohren nicht vor der Wirklichkeit verschließen“, belehrt mich mein Schatz – dieser große Realist, der mal wieder dabei ist, seine Plattensammlung nach einem neuen System umzusortieren –, wenn ich den Weltuntergangspropheten von der Tagesschau mit einem Griff zur Fernbedienung den Mund verbiete. „Man muss eben vorbereitet sein!“ – „Vorbereitet?“ spotte ich. „Besorg du dir doch erstmal eine Gesichtsmaske in Hertha-Farben für das Spiel gegen Bochum, und dann reden wir weiter.“

„Lieber Heuschnupfen als Schweinegrippe!“ tröste ich eine Freundin, die über ihre roten Augen und geschwollene Nase jammert. Aber alle blöden Sprüche helfen überhaupt nichts, wenn mich morgens um drei mein innerer Weckalarm aus dem Schlaf reißt. Dass solche nächtlichen Beklemmungen tief in den Genen stecken und ursprünglich wohl einen Schutzinstinkt darstellten, damit unsere Vorfahren Überfällen wilder Tiere oder feindlicher Krieger nicht wehrlos träumend ausgeliefert waren – auch das Wissen darum nützt herzlich wenig, wenn die Panik mir den Atem raubt: Panik um unsere finanzielle Zukunft, Panik vor der Schweinegrippe und noch schlimmeren Diagnosen, vor dem Älterwerden und vor lauter Schicksalsschlägen, auf die ich mich überhaupt nicht vorbereiten kann, weil ich keine Ahnung habe, dass sie mir bevorstehen. Dabei ist das Leben so schön!
Der_Praktikant - 4. Mai, 09:23

Meinst du wirklich, in der Steinzeit haben die Menschen geträumt? Wovon denn?

Beate Brown - 4. Mai, 09:43

Was weiß ich denn, wahrscheinlich von einer bequemen Welt, in der alles auf Knopfdruck funtioniert und man Fleisch abgepackt im Supermarkt kauft, statt es erjagen zu müssen. Offen gesagt find ich's ziemlich daneben, dass ich mir hier die Seele aus dem Leib schreibe und du nichts Besseres zu tun hast, als dich öffentlich über meinen Text lustig zu machen!

Der_Praktikant (Gast) - 4. Mai, 11:14

Vielleicht sollten wir das mal bei Erdbeertee und Müslikeksen ausdiskutieren. Macht man doch in deiner Generation so, oder? ;-))

Beate Brown - 4. Mai, 11:36

Na, wenigstens hast du dich nicht bei irgendwelchen Mai-Krawallen festnehmen lassen, dafür können wir wohl dankbar sein!

Trackback URL:
https://knotenpunkte.twoday.net/stories/5675354/modTrackback


Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren