Leben

Freitag, 3. Oktober 2008

Feiertags-Blues

Als ich heute bei überraschend schönem Herbstwetter einen langen Spaziergang an der Elbe unternahm, fiel mir eine ältere Dame auf, die alleine auf einer Bank saß. Sie hatte die Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt und schaute auf das Wasser hinaus. Obwohl ich selbst auch alleine unterwegs war, rührte mich ihr Anblick, denn sie wirkte etwas verloren, wie sie da so auf ihrer Bank saß. Und mir ging plötzlich auf, dass mir auf meinem ganzen, langen Spaziergang sonst niemand ohne Begleitung begegnet war.

Das lange Wochenende ist für die meisten Leute eine willkommene Gelegenheit, viel Zeit mit dem Partner und der Familie zu verbringen. Sie genießen es, auszuschlafen, gemütlich am Frühstückstisch zu sitzen, verreisen vielleicht sogar oder erledigen einfach all die Dinge, für die sie im Alltag nicht genug Zeit finden. Den Keller aufräumen, die Steuererklärung machen, das Kinderzimmer renovieren.

Für Einige jedoch werden diese Tage zur Einsamkeitsfalle. Sie leben alleine und haben niemanden gefunden, der die Feiertage mit ihnen verbringt. Angehörige sind vielleicht verreist, Freunde ziehen die traute Zweisamkeit vor oder sind mit längst fälligen Projekten beschäftigt (siehe oben).

Obwohl mittlerweile über 60 Prozent der Hamburger alleine wohnen und die meisten von ihnen auch tatsächlich Singles sind, fällt das an solchen Tagen nicht auf. Die Singles suchen Anschluss bei Verwandten oder Freunden, mit denen sie ihre freie Zeit verbringen. Wenn das nicht geht, ziehen sie sich still zurück. Immer wieder höre ich gerade von Frauen, dass sie nicht den Mut finden, an Tagen, die so überdeutlich im Zeichen von Gemeinschaft stehen, ihr Alleinsein zur Schau zu stellen. Es erscheint ihnen als Makel, dass sie keinen Partner und keine Kinder haben und auf schmerzhafte Weise wird ihnen die eigene, vermeintliche Unvollständigkeit bewusst. Sie fühlen sich gerade jetzt ganz besonders ausgeschlossen und einsam. Und daher bleiben sie lieber zuhause, räumen ihren Keller noch gründlicher auf als andere, arbeiten ein bisschen für die Firma und hoffen auf ein gutes Fernsehprogramm.

Das ist sehr schade, denn in ihren eigenen vier Wänden sind diese Singles erst recht isoliert. Gerade in einer großen Stadt wie Hamburg gibt es viele Dinge, die man wunderbar alleine unternehmen kann, und in Wahrheit führen all die Paare und Familien, denen man da draußen begegnet, auch kein besseres Leben, sondern nur ein anderes. Es kommt immer auf die eigene innere Haltung an, mit der man durch’s Leben geht und weniger auf äußere Begebenheiten. Dieses vermeintlich glückliche Paar, das da eng umschlungen auf der Bank sitzt, hat vielleicht in Wahrheit den ganzen Morgen über gestritten und ist nun gerade um eine Versöhnung bemüht, die möglicherweise nicht mal bis zum Abend hält. Die Mutter, die mit ihren Kindern auf dem Spielplatz sitzt, hat vielleicht seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen und nimmt die Schönheit dieses Herbsttages wie unter einer Käseglocke wahr.

Als Single hat man die Zeit und die Muße, seine Umwelt eingehender zu betrachten. Man ist nicht so auf sich und seine Lieben fixiert und von der Stimmung anderer abhängig, sondern kann sich ganz seinen eigenen Gedanken und Gefühlen hingeben. Wer das im positiven Sinne schafft, ruht in sich selbst und findet auch die Kraft, alleine weiter zu gehen.

Während ich meinen Spaziergang an der Elbe fortsetzte, dachte ich noch einmal an die ältere Dame und fand auf einmal gar nicht mehr, dass sie verloren gewirkt hatte. Vielmehr schien sie einfach nur in Ruhe die Herbstsonne zu genießen. In diesem Sinne wünsche ich allen Singles ein schönes Wochenende, ganz ohne Feiertags-Blues.

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