Aus der Wortschmiede

Anfragen dieser Art flattern mir allzu selten auf den Schreibtisch – und das ist gut so, denn der Mensch lebt nicht von Luft allein!

Gerade deswegen, liebe Ana, lieber Guy, war es mir eine Ehre und ein Vergnügen, nicht des Geldes, sondern der Dichtkunst und der Freundschaft wegen die Esse anzuheizen, in deren Feuer Worte zum Glühen gebracht werden, bevor auf dem Amboss unter meinen Hammerschlägen die Funken sprühen und das Eisen singt. Zu meinen Füßen faucht und zischt ein Eimer mit kaltem Wasser für die fertigen Stücke. (Darin landet freilich auch heillos Missglücktes, das, kaum abgekühlt, nur noch für die Schrotthalde taugt.)

Das englische Original finden Sie hier.

Familienerwachen

Wenn meine Augen geschlossen sind und verwirrt von
all dem Licht in meinem Schädel,
warte ich auf eine Erinnerung, als müsse sie abgehakt
werden auf einer exemplarischen Liste, an jene Person
oder Gruppe, der ich noch begegnen soll; eine heilige Familie,
die wartet, ob ein Bus sie mitnimmt, sie blinzeln in unsäglichem
Schweigen ob meiner Verwunderung, gehen in ihren
prächtig bunten Kleidern, als brächen sie zur
großen Reise auf, kein letzter Vorhang,
sondern der Aufbruch zur Überquerung von Bergen,
von denen sie nicht Besitz noch Kenntnis haben, eine Murmeltierfamilie,
die mehr sucht als des Waldes warme Deckung. Sie
sind allzeit bereit, ihre Habseligkeiten beisammen,
streichen sich ihre verwuschelten Locken aus ihren weißen Augen,
die in verschiedene Richtungen schielen, gehören zusammen wie
die „Bürger von Calais“, in einer Gruppe, doch insgeheim
verzweifelt ziehen sie bergauf durch den schwebenden Nebel.
Wer sind sie, meine Liebhaber, Vertrauteste meines Schicksals, Flieder
der Seele, die mein schwindendes Selbst erwarten?
Ich weiß, diese Begegnung muß sein, ich muß ihnen die Hand reichen wie einem Grenzposten ein Visum, mit ihnen warten,
wie sie die Berge kartographisch erfassen,
im voraus erinnere ich mich der Vergangenheit, die zum Jetzt wird, und
der Zukunft, ein Sehnen steigt mir zu Kopfe, erinnere mich des Windes,
der an mir vorbeigeweht ist ins wäßrige Schilf, die frühen Schritte
um die Bergebenen gewärmt hat.
Mein Verstand ist der Gipfel dieses Berges, der mittlere
in der vollkommen reglosen Kette, die weder lächeln
noch reden oder sich ärgern kann, sie bleibt immer entweder
der wohlwollende Freund oder der gleichgültige Feind.
Ich weiß nicht, wo ich bin, aber unter meinen Füßen
ist silbriges Gras, Fetzen eines Mondbanners,
Felder über Felder von Fragezeichen buhlen
um Aufmerksamkeit. Bin ich im Himmel hier? Oder
in einem Spiegel von Spiegeln, und halte
ein letztes Bild aus Grün und Blau, mild wie Honigwasser?
Die Gruppe schlurfender Menschen ist wieder nah,
zieht sich schräg über den Horizont, eine gezackte, geschattete Gruppe
verzweifelter Intimität, die aus blinden Augen schaut, während der Tag vergeht.
Gegangen die Grenzposten, mein Visum ist feucht und verwischt,
ein Andenken an die Zukunft, mit gedämpfter Stimme
begehrt es eine Geschichte der Eklipsen, im Schweigen weniger Seiten,
ein Visum, gültig für einen Besuch. Suche ich die Familie,
oder suchen sie mich? Warum sind sie blind
auf dem Berggipfel und laufen doch mit einer Entschlossenheit,
einer Wahrscheinlichkeit des Ankommens durch den Sturmgarten,
zielstrebig gegen mein Un-Ziel, meine Zwangsläufigkeit?
Ich wünsche, sie seien die Zukunft, aufgehalten
in einer Schale warmer Hände, die Girlande aus barbarischen Lächeln.

Guy Barker,
Februar 2008

Aus dem Englischen übersetzt von Beate Brown

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