Sonntag, 16. November 2008

Rituale

Ich bin ein großer Fan von Ritualen. Sie helfen uns, Übergänge zu gestalten, Abschied zu nehmen, loszulassen, neu anzufangen. Rituale markieren Lebensabschnitte, von der Geburt bis zum Tod. Sie helfen aber auch, Struktur in unseren Alltag zu bringen. Das regelmäßig Wiederkehrende, Gleichförmige kann Ruhe und Klarheit in unser Leben bringen und uns Sicherheit geben. Mahlzeiten können zum Beispiel wichtige Alltagsrituale darstellen. Man nimmt sie zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten ein. Vielleicht geht man mittags immer mit denselben Kollegen in die Kantine und sitzt sogar am selben Tisch. Vielleicht zündet man zuhause immer eine Kerze an und deckt den Tisch auch im Alltag schön. Auch die Art, wie wir unsere Liebsten begrüßen und verabschieden, kann ein Ritual darstellen. Oder wie wir aufstehen und zu Bett gehen.

Ich habe zum Beispiel tagsüber immer alle Zimmertüren in meiner Wohnung geöffnet. Dadurch erscheint mir die Wohnung größer, weiter, lichtdurchlässiger. Wenn ich ins Bett gehe, schließe ich jedoch die Schlafzimmertür. Ich fühle mich dann geborgener, schaffe mir eine kleine Höhle und lasse Kälte und Dunkelheit symbolisch vor der Tür. Morgens gehe ich immer zuerst duschen und ziehe mich an, bevor ich irgendetwas anderes mache. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die im Schlafanzug Kaffee trinken oder sich gar schon an den Schreibtisch setzen. Mein Tag fängt verkehrt an, wenn ich eine andere Reihenfolge wähle und ich fühle mich dann meistens den ganzen Tag über irgendwie "falsch". Ich kann dieses Ritual nur durchbrechen, wenn ich anderswo zu Besuch bin. Bei meiner Schwester sitze ich oft bis mittags mit Strubbelhaaren und im Nachthemd in der Küche, frühstücke und spiele mit den Kindern. Das, was sich zuhause für mich falsch anfühlt, erscheint mir dort auf einmal nett und als ein Zeichen von Gemütlichkeit und Entspannung.

Nach einer gescheiterten Beziehung brauche ich meistens lange, um zu begreifen und auch zu akzeptieren, dass es keinen Neubeginn mehr gibt. In meiner Wohnung stehen noch überall die Fotos des Ex-Liebsten und Dinge, die er mir geschenkt hat und die eine große Bedeutung für mich hatten. Irgendwann aber kommt der Punkt, an dem es nicht nur in meinem Kopf „klick“ macht, sondern sich auch mein Herz vollständig von dem Mann löst. Das kann viele Monate nach der offiziellen Trennung sein. Diesen Moment begehe ich ganz bewusst. Ich räume die Fotos weg, während ich mich noch einmal erinnere. Ich werfe Dinge fort, die nur noch mit Schmerz und nicht mit Liebe behaftet sind. Anderes verstaue ich in einer Kiste, die ich in meinen Keller stelle. Einmal habe ich sogar in einer feierlichen Zeremonie ein Foto verbrannt. Bilderverbrennung ist seit Urzeiten ein kraftvolles Ritual, um sich von jemandem oder etwas loszusagen. Es half mir persönlich, das Band zwischen dem Mann und mir zu lösen, Abstand zu gewinnen und bewusst einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen – und zwar alleine.

Während ich aufräume, spreche ich liebevolle Abschiedsworte. Egal, wie viele Unstimmigkeiten es zwischen dem Mann und mir am Ende auch gab, ich möchte sie nicht weiter mit mir herum tragen. Ich wünsche ihm alles Gute und spreche bei diesem Abschiedsritual noch einmal ganz für mich alles aus, was mir auf dem Herzen liegt. Ich spreche von meinen Sehnsüchten und meiner Trauer ebenso wie von meinem Zorn, meiner Enttäuschung, meiner verlorenen Liebe und dem Wunsch, nun weiter zu gehen – ohne diesen Mann. Nach diesem Abschiedsritual fühle ich mich wie befreit. Vielleicht vergieße ich ein letztes Mal Tränen und spüre dieser verlorenen Liebe nach. Doch anschließend schaue ich voller Zuversicht und Erleicherung in die Zukunft. Ich habe losgelassen.

Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren