Kreatives Schreiben

Donnerstag, 20. Mai 2010

Alltagsbeobachtungen

Für kreatives Schreiben ist eine gute Beobachtungsgabe unabdingbar. Ich bin oft in Gedanken versunken und eher nach innen gewandt, weil mit tausend Dinge durch den Kopf gehen. Dabei entgeht mir dann so manches in meiner Umwelt. Aber genauso oft schaue ich auch sehr bewusst hin. Ich beobachte Menschen auf der Straße, in der S-Bahn oder im Supermarkt, wie sie sich bewegen, wie sie angezogen sind, wie sie sich mit anderen Menschen unterhalten. Daraus ziehe ich dann meine Schlüsse – die meistens sicher nicht stimmen. Aber manchmal laufen richtige Filme in meinem Kopf ab und ich dichte Menschen ein ganzes Leben an. Das ist dann wiederum ein wunderbarer Stoff für eine Kurzgeschichte oder eine Szene in einem Roman.

Da ist zum Beispiel das alte Paar, dem ich immer wieder beim Spazierengehen begegne. Hand in Hand kommen sie mir in flottem Schritt entgegen. Dabei sind die Beiden sicher fast Achtzig, haben graue, kurze Haare und faltige Gesichter. Sie tragen das ganze Jahr über Birkenstocksandalen, im Sommer barfuß, im Winter mit dicken, selbstgestrickten Wollsocken, dazu die passenden bunten Mützen und Schals. Sie wirken ernst und in sich gekehrt, manchmal kommt es mir fast so vor, als würden sie mich richtig böse anschauen. Wer weiß, vielleicht tun sie das auch und hegen voller Grimm Vorurteile über die Jugend von heute – zu der ich mich weiß Gott nicht mehr zähle, aber aus der Perspektive einer Achtzigjährigen bin ich natürlich noch sehr jung. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur – ähnlich wie ich – so sehr in ihre eigene Gedankenwelt versunken, dass sie mich gar nicht richtig wahrnehmen.

Ich stelle mir vor, dass er Wissenschaftler war, vielleicht Mathematik oder Germanistik, und sie Lehrerin für Kunst und Handarbeiten. Vielleicht aber waren auch beide Musiker, oder er war Pastor und sie hat die Kinder aufgezogen. In jedem Fall liegt hinter ihnen ein buntes, bewegtes Leben. Sie haben nicht jahrelang in Großraumbüros zugebracht und sind dem schnellen Geld nachgejagt. Vielmehr sind sie bei den großen Friedensdemonstrationen in den 80ern mit marschiert und haben sich in Brokdorf einer Sitzblockade angeschlossen, bis sie von Wasserwerfern fortgespült wurden. Sie haben sich für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt, bei der Eröffnung des ersten Hamburger Bioladens mitgewirkt und sie gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Grünen. Vielleicht sind sie zu den Kirchentagen gefahren, damals, als dort noch Politik gemacht wurde und die Leute nicht nur fröhliche Liedchen trällerten. Vielleicht sind sie auch Anthroposophen und haben ihre Kinder in eine Waldorfschule geschickt. Früher mal lebten sie in einer Wohngemeinschaft auf dem Land. Heute bewohnen sie ein Gründerzeithaus, das sie eigenhändig restauriert und vor dem Abriss bewahrt haben. Die Hausgemeinschaft war früher mal sehr eng, jeder war für jeden da, die Türen mussten nicht abgeschlossen werden, die Kinder waren nie allein.

Heute ist das anders. Heute wollen die jungen Nachbarn mit den spinnerten Alten nicht mehr viel zu tun haben. Sie wissen nicht mehr, dass Leute wie diese Wollsockenträger dafür gesorgt haben, dass unsere Regierung über Alternativen zum Atomstrom nachdenkt, dass es Bio-Möhren bei Aldi gibt und unverheiratete Paare zusammenleben können, ohne dass es irgendwen interessiert. Dafür sind ihnen die Bio-Produkte selbst im Discounter zu teuer, weil sie ihr Geld lieber für das neuste Macbook, Designerklamotten und Pauschalreisen nach Gran Canaria ausgeben, statt sich gesund zu ernähren.

Es ist verständlich, dass das alte Wollsockenpaar darüber erbittert ist und grimmig in die Gegend schaut. „Wozu haben wir denn gekämpft, wenn nicht für euch, die nächsten Generationen?“ fragen sie sich beim Anblick all dieser gelangweilten, unengagierten Jugendlichen. So könnte es doch sein, oder?

Es kann aber auch sein, dass alles ganz anders ist. Doch das ist egal. Denn ich habe zwei schöne Charaktere für einen neuen Text gefunden.

Mittwoch, 5. Mai 2010

Entstauben Sie Ihre Korrespondenz!

„Darf man das denn?“
Diese Frage wurde mir kürzlich in einem Seminar zum beruflichen Schreiben gestellt. Wie schreibt man kundenorientierte, moderne Geschäftsbriefe? Darum ging es. Vieles erschien mir während der Vorbereitung so banal, dass ich kaum wagte, es vor meinen Teilnehmern zur Sprache zu bringen. Doch ich war überrascht. Schon Kleinigkeiten führten zu Irritationen:
„Darf ich wirklich einen Brief mit etwas anderem als Mit freundlichen Grüßen unterschreiben?“ fragte die Teilnehmerin noch einmal.
„Ja, Sie dürfen!“ antwortete ich nachdrücklich. „Es ist sogar gut, wenn Sie das machen.“

Briefe, die zum großen Teil aus Standardformulierungen bestehen, werden vom Empfänger oft nur überflogen. Schließlich kennt er ja den Text – oder meint, ihn zu kennen. Dabei entgehen ihm dann möglicherweise wichtige Details. Dagegen wecken Geschäftsbriefe, die von der Norm abweichen – und sei es nur minimal – Aufmerksamkeit.

Entstauben Sie also ruhig mal Ihre Geschäftskorrespondenz! Müssen Sie denn wirklich jeden Brief mit hiermit oder Bezug nehmend auf beginnen? Viel sympathischer und vor allem kundenfreundlicher wirkt Ihre Post, wenn Sie derartige Floskeln vermeiden und stattdessen erst mal mit einem Dank beginnen: vielen Dank für Ihren Brief klingt viel weniger nüchtern.

Wenn Sie zudem lange Bandwurmsätze, Substantivierungen, Passivformulierungen und unnötige Fremdwörter meiden, wird Ihre Korrespondenz viel lebendiger, frischer und vor allem lesbarer.

Und wie ist es nun mit dem Briefschluss? Der Duden schlägt gleich mehrere Varianten vor: Mit freundlichem Gruß, Mit verbindlichen Grüßen, Freundliche Grüße. Alle sind auch in förmlichen Geschäftsbriefen erlaubt.

Probieren Sie es doch mal aus!

Montag, 16. November 2009

Meisern Sie Ihr Leben!

Wissen Sie, was meisern ist? Nein? Ich ehrlich gesagt auch nicht. Allerdings weiß ich, dass in diesem Verb viel Kraft zu stecken scheint und es auf geradezu magische Weise zu Erfolg verhilft. Wie das gehen kann? Ganz einfach.

Ich hatte kürzlich bei Xing auf meinen Vortrag „Mittendrin! Wie Frauen erfolgreich ihre Lebensmitte meistern“ – hingewiesen. Und wie das manchmal so ist, war ich etwas in Eile und überblickte nicht gleich, was ich da in die kleinen, unkomfortablen Formularfelder tippte. Flüchtig gegenlesen, abschicken und – zack! – stand mein Text nicht nur für alle Welt sichtbar im Netz, sondern ging auch als Einladung an etliche Frauen hinaus. Es dauerte nur ein, zwei Minuten, bis ich entdeckte, dass sich ausgerechnet in die Überschrift der Fehlerteufel eingeschlichen und ein kleines „t“ gefressen hatte. So stand da nun „Wie Frauen erfolgreich ihre Lebensmitte meisern“. Wie peinlich war das denn! Ausgerechnet mir als Texterin unterlief so ein fataler Fehler. Ich hätte im Erdboden versinken mögen und verfluchte dieses blöde Internet, das so gnadenlos den letzten Mist ins Universum posaunt, ohne dass es die Möglichkeit gibt, eine groß angelegte – und vor allem heimliche! – Rückholaktion zu starten. Zwar konnte ich den Text bei Xing korrigieren, aber die automatisch verschickten Einladungen ließen sich natürlich nicht rückgängig machen. Lediglich eine zweite, korrigierte Version rettete meine Ehre etwas. „Hey Leute“, signalisierte ich damit, „ich hab selbst gesehen, dass ich schlampig gearbeitet habe.“ Unangenehm war mir, der Perfektionistin, die Sache trotzdem weiterhin.

Am nächsten Tag klingelte mein Telefon. In der Leitung war eine Frau, der ich vor längerer Zeit mal bei einem Workshop begegnet war. Wir hatten damals zwar Adressen getauscht, aber außer einer Vernetzung bei Xing passierte nichts weiter – bis zu jenem Anruf. Die Frau arbeitet ebenfalls als Texterin und Lektorin. Sie amüsierte sich köstlich über die fehlerhafte Einladung, die sie auch erhalten hatte. „Du bist vermutlich im Erdboden versunken, was?“ fragte sie, und ich war froh, dass sie nicht sehen konnte, wie rot ich wurde. Von einer Kollegin auf diesen Fauxpas hingewiesen zu werden, war ja noch viel unangenehmer. Doch dann stellte sich heraus, dass dieser kleine Fehler die Kollegin keineswegs abgeschreckt, sondern neugierig gemacht hatte. Sie schaute sich meine Website an, stellte fest, dass es dort keine weiteren „meisern“-Pannen zu lesen gibt, und war schließlich so begeistert, dass sie mich anrief. Wir führten ein sehr langes, sehr nettes Gespräch miteinander. Am Ende erhielt ich fast einen neuen Auftrag und hatte außerdem eine Kooperation in Aussicht.

Manchmal können kleine Fehler also durchaus charmant und nützlich sein. Vielleicht, weil sie von Lebendigkeit zeugen. Absolute Perfektion kann schließlich auch langweilig und steril wirken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele meiserhafte Begegnungen.

Freitag, 11. September 2009

Palimpsest

Früher war Papier bzw. Pergament so wertvoll, dass Manuskriptseiten noch im Mittelalter immer wieder überschrieben wurden. Diese Dokumente nennt man Palimpseste, und sie sind natürlich für Historiker interessant – aber auch für Literaten: als Metapher dafür, wie unter jedem Text, mehr oder weniger sichtbar, andere, ältere Schichten liegen.

Nach diesem Prinzip benutze ich seit mehreren Jahren denselben Taschenkalender, in dem ich Ideen, Eindrücke, plötzliche Geistesblitze usw. notiere. Auf der Seite für diese Woche bin ich gerade auf folgenden Eintrag gestoßen, offenbar von 2006 (denn die Zeilen sind mit der natürlich bitter-ironisch gemeinten, aber dennoch nicht richtig witzigen Widmung „Mohammed Atta zum 5. Todestag“ versehen):

So blau wird der Himmel nie wieder,
aber er ist blau genug.

Die Welt ist immer noch dieselbe,
jeden Morgen ganz anders.

Die Zahl der Toten steigt stündlich.

Die der Lebenden auch.

Montag, 10. August 2009

Beates „Top Pfuis“ für Texter und Publizisten

• rhetorische Fragen, die mit „?!“ enden
• hässliche Füllwörter wie „dabei“ oder „nämlich“ – warum schreiben Sie nicht gleich „ähem“?!
• Hauptsätze, die mit „so“ beginnen („So begab es sich also, dass ...“) – sind wir hier bei Onkel Tobis Märchenstunde?!
• der Konjunktiv mit „würde“ zur Wiedergabe indirekter Rede
• „in puncto“ und „à la“ sind keine Präpositionen, sondern Verbrechen
• Konstruktionen wie „wurden und werden“, „waren und sind“, um eine Kontinuität zu beschreiben – wofür gibt es Wendungen wie „seither“, „seit jeher“?!
• Anführungszeichen, die signalisieren sollen: Achtung, Ironie!
• Leute, die glauben, Rolltreppen seien zum Stehen da (heißen sie etwa „Stehtreppen“?!)
• Leute, die in der S-Bahn, nachdem man sich extra an das einzige offene Fenster gesetzt hat, aufstehen und es einfach schließen, am besten noch mit Leidensmiene sagen: „Es zieht!“ (Hallo! Wir sind im Zug!)
• Brustschwimmer (langsame ganz besonders, aber auch schnelle – haben Sie schon mal einen richtig kräftigen Fußtritt in die Rippen bekommen? Autsch, kann ich Ihnen nur sagen!)
• Rückenschwimmer (wenn der liebe Gott wollte, dass wir rückwärts schwimmen, hätte er uns Augen im Hinterkopf gegeben)

Donnerstag, 28. Mai 2009

Wie man eine Kolume schreibt II (Druckversion)

• Binsenweisheit Nummer eins: Es gibt keine Patentrezepte. Manche Kolumnen verschwinden sang- und klanglos wieder aus der Medienlandschaft, aus anderen werden Kultserien („Sex and the City“), Bestseller-Romane (Helen Fieldings „Bridget Jones“-Geschichten) oder öffentliche Institutionen: Wer bildet sich noch eine eigene Meinung, ohne vorher nachzulesen, was Henryk M. Broder oder Harald Martenstein dazu sagen? Bastian Sicks „Zwiebelfisch“ hat für seine Kollegen aus dem Lektoratsgeschäft mehr Autorität als Duden und Wahrig zusammen, seine Lesungen zum Klein-klein der deutschen Grammatik füllen Konzerthallen.

• Zeitungskolumnen gelten als exterritorial – was im Normalfall für die zuständigen Redakteure bedeutet: Finger weg! –, ihre Autoren müssen sich nicht strikt an die Blattlinie halten, sondern dürfen und sollen das Zielpublikum auch mal sanft gegen den Strich bürsten. Kolumnen können, müssen aber nicht thematisch gebunden sein. Ebenso wichtig wie ihr Inhalt ist in jedem Fall die Persönlichkeit des Autors – nicht zufällig werden sie oft mit dessen Porträt verziert. Dabei kann es sich um eine prominente Figur des öffentlichen Lebens handeln, um einen Fachexperten mit Herrschaftswissen oder auch um ein eigens zu diesem Zweck geschaffenes Alter ego: der ewige Griesgram, die kecke Nymphomanin, der brave Tölpel. Merke: In einer Kolumne darf es kräftig menscheln.

• Nutzen Sie die Kolumne als Fingerübung, um verschiedenste Techniken und Stilmittel auszuprobieren. Von Satire über Parodie bis zur Tagebuch-, Brief- oder Dialogform ist fast alles erlaubt. Manche Kolumnisten pflegen einen leutseligen Plauderton, andere spitzen lieber polemisch zu. Was können, was wollen Sie Ihrer Leserschaft zumuten?

• Das Schöne an einer Kolumne ist ihre Kürze. Sie brauchen Ihr jeweiliges Thema nicht erschöpfend zu behandeln, sondern können sich herauspicken, was Sie daran interessiert. Und wenn Sie wollen, können Sie über kurze Strecken einen Stil und ein Tempo durchhalten, die bei längeren Texten sowohl für Sie als für Ihre Leser sehr anstrengend wären.

• Kolumnen sind Lesehäppchen. Entsprechend würzig, knackig und scharf gepfeffert dürfen sie zubereitet, entsprechend sollten sie cum grano salis genossen werden: Appetitanreger, keine Sättigungsbeilage. Mir persönlich mundet eine feine Prise Ironie stets am besten, aber das ist reine Geschmackssache.

• Wenn Ihre Kolumne eine Pointe hat, umso besser; erzwingen sollten Sie sie nicht. Auch hier gilt: Nichts ist peinlicher als ein Witz, über den nur der lacht, der ihn erzählt hat.

• Gewöhnen Sie sich an, immer ein Notizbuch mit sich herumzutragen – wenn Sie ein modernerer Mensch sind als wir, tut’s auch ein Diktaphon. Wenn Ihnen beim Zeitungslesen, Einkaufen, Spazierengehen, im Kino, Café, Schwimmbad oder Fitness-Studio, in der U-Bahn oder auf dem Trödelmarkt eine Idee kommt – sofort aufschreiben! Einiges werden Sie erst in einem Jahr verwenden, anderes wieder verwerfen – macht gar nichts. Manche Leute legen sich eine Kartei oder Datenbank an, um sprachliche Wendungen zu sammeln, die sie besonders genial finden. Das ist eine prima Sache – solange Sie es nicht machen wie ein uns bekannter Journalist, der so stolz auf eine Formulierung war, dass er in zwei grundverschiedenen Filmrezensionen Wort für Wort denselben Satz benutzte!

Wie man eine Kolume schreibt II

Wie versprochen haben wir den Praktikanten auf die Pirsch durch den Blätterwald geschickt, um Ihnen nun unser gesammeltes Halbwissen, ein paar Binsenweisheiten sowie die eine oder andere praktische Anregung zum Thema Kolumnenschreiben zu präsentieren. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem abgedunkelten Konferenzraum, auf dem Tisch ein paar Packungen Salzstangen und Billigkekse. Was, in Ihrer Firma geht es edler zu, mit frischem Faitrade-Kaffee und Plunderteilchen vom Bäcker? Na, da haben Sie aber Glück. Gleich geht’s los, die Spannung steigt. Fast wie damals in der Schule, wenn der Diaprojektor mal wieder nicht funktionierte oder der Lehrer vergessen hatte, den Strom einzuschalten. Doch sieh an, die PowerPoint-Datei öffnet sich anstandslos, der Referent räuspert sich und beginnt zu sprechen. Hier finden Sie seinen Vortrag zum Ausdrucken.
  • Binsenweisheit Nummer eins: Es gibt keine Patentrezepte. Manche Kolumnen verschwinden sang- und klanglos wieder aus der Medienlandschaft, aus anderen werden Kultserien („Sex and the City“), Bestseller-Romane (Helen Fieldings „Bridget Jones“-Geschichten) oder öffentliche Institutionen: Wer bildet sich noch eine eigene Meinung, ohne vorher nachzulesen, was Henryk M. Broder oder Harald Martenstein dazu sagen? Bastian Sicks „Zwiebelfisch“ hat für seine Kollegen aus dem Lektoratsgeschäft mehr Autorität als Duden und Wahrig zusammen, seine Lesungen zum Klein-klein der deutschen Grammatik füllen Konzerthallen, dabei strahlt er den Charme eines Klassenbesten im Lateinunterricht aus.
  • Zeitungskolumnen gelten als exterritorial – was im Normalfall für die zuständigen Redakteure bedeutet: Finger weg! –, ihre Autoren müssen sich nicht strikt an die Blattlinie halten, sondern dürfen und sollen das Zielpublikum auch mal sanft gegen den Strich bürsten. Kolumnen können, müssen aber nicht thematisch gebunden sein. Ebenso wichtig wie ihr Inhalt ist in jedem Fall die Persönlichkeit des Autors – nicht zufällig werden sie oft mit dessen Porträtbild verziert. Dabei kann es sich um eine prominente Figur des öffentlichen Lebens handeln, um einen Fachexperten mit Herrschaftswissen oder auch um ein eigens zu diesem Zweck geschaffenes Alter ego: der ewige Griesgram, die kecke Nymphomanin, der brave Tölpel. (Oder auch: der noch nicht der Trotzphase entwachsene Praktikant; die kreative Chaotin; die so kompetente wie langmütige Chefin, die den Laden trotzdem schmeißt.) Merke: In einer Kolumne darf es kräftig menscheln.
  • Nutzen Sie die Kolumne als Fingerübung, um verschiedenste Techniken und Stilmittel auszuprobieren. Von Satire über Parodie bis zur Tagebuch-, Brief- oder Dialogform ist fast alles erlaubt. Manche Kolumnisten pflegen einen leutseligen Plauderton, andere spitzen lieber polemisch zu. Was können, was wollen Sie Ihrer Leserschaft zumuten? Kolumnisten sind Dienstleister wie alle Schreiberlinge, egal ob sie sich für Freidenker oder Künstlernaturen halten.
  • Kolumnen sind Lesehäppchen. Entsprechend würzig, knackig und scharf gepfeffert dürfen sie zubereitet, entsprechend sollten sie cum grano salis genossen werden: Appetitanreger, keine Sättigungsbeilage. Mir persönlich mundet eine feine Prise Ironie stets am besten, aber das ist reine Geschmackssache.
  • Wenn Ihre Kolumne eine Pointe hat, umso besser; erzwingen sollten Sie sie nicht. Auch hier gilt: Nichts ist peinlicher als ein Witz, über den nur der lacht, der ihn erzählt hat.
  • Das Schöne an einer Kolumne ist ihre Kürze. Sie brauchen Ihr jeweiliges Thema nicht erschöpfend zu behandeln, sondern können sich herauspicken, was Sie daran interessiert. Und wenn Sie wollen, können Sie über kurze Strecken einen Stil und ein Tempo durchhalten, die bei längeren Texten sowohl für Sie als für Ihre Leser sehr anstrengend wären.
  • Gewöhnen Sie sich an, immer ein Notizbuch mit sich herumzutragen – wenn Sie ein modernerer Mensch sind als wir, tut’s auch ein Diktaphon. Wenn Ihnen beim Zeitungslesen, Einkaufen, Spazierengehen, im Kino, Café, Schwimmbad oder Fitness-Studio, in der U-Bahn oder auf dem Trödelmarkt eine Idee kommt – sofort aufschreiben! Einiges werden Sie erst in einem Jahr verwenden, anderes wieder verwerfen – macht gar nichts. Manche Leute legen sich eine Kartei oder Datenbank an, um Formulierungen zu sammeln, die sie besonders genial finden. Das ist eine prima Sache – solange Sie es nicht machen wie ein uns bekannter Journalist, der so stolz auf eine Formulierung war, dass er in zwei grundverschiedenen Filmrezensionen Wort für Wort denselben Satz benutzte!

Schreibblockade
  • Schreibblockaden sind kein Problem, sondern eine Chance – nutzen Sie sie! Doch, ehrlich. Sie müssen es nur geschickt anstellen. „Also, diese Woche ist ja Pfingsten, und ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu schreiben soll …“: So machen Sie sich höchstens zum Pfingstochsen.
  • „Zum Thema Pfingsten gäbe es bestimmt eine Menge zu sagen: aus christlicher Sicht, aus atheistischer Sicht, aus Arbeitgeber- oder aus Arbeitnehmersicht. Mir fällt dazu rein gar nicht sein. Nada y pues nada, wie Hemingway gesagt hätte. Filmriss, Sendepause, Funkstille, Nachrichtensperre. Tabula rasa. Mich beschäftigt vielmehr die Frage, wieso Biolimos dieses Jahr plötzlich wieder out sind. Hat sich die Generation Capri-Sonne auf die Suche nach der verlorenen Kindheit begeben, als es noch keine E-Nummern gab und wir sie im Zweifelsfall sowieso für besonders wertvolle Vitamine gehalten hätten? Oder wird in Zeiten der Weltwirtschaftskrise zunehmend darauf verzichtet, die gleichzeitige Verfügbarkeit von Freizeit und Einkommen durch den Besuch trendiger Gastronomiebetriebe und den Konsum ökologisch korrekter Produkte des heimischen Kleinkapitalismus zur Schau zu stellen? ...“ Und schon haben Sie aus dem Nichts eine Art Kolumne gezaubert. Allzu oft sollten Sie sich solche Sperenzchen freilich nicht erlauben, und in Ihrer Probezeit wohl auch nicht.
Das Licht geht wieder an, alle blinzeln, fünf Hände grabschen nach den letzten zwei Plätzchen mit Schokoladenüberzug. Der Referent (genau, es ist unser Praktikant – hat er doch super gemacht, oder? Wir sind richtig stolz auf ihn!) zupft an seiner Krawatte. „Noch Fragen?“

Montag, 4. Mai 2009

Lebenslanges Lernen

Es ist eine alte Binsenweisheit, dass man die meisten Dinge nur lernt, indem man sie immer wieder übt. „Reiten lernt man nur durch Reiten“, bekam ich als Kind zu hören, wenn ich zu ungeduldig wurde und hoffte, von einem Tag auf den anderen zur Turnierreiterin zu werden. Ich hatte haufenweise schlaue Bücher über Pferde gelesen, in denen alles so leicht wirkte, und ich war verwundert und enttäuscht, weil die Realität anders aussah. Ich hatte nicht bedacht, dass ich viel Zeit brauchen würde, um Reiten zu lernen, dass ich nicht einfach aus dem Stand losgaloppieren konnte, sondern dass das Ganze deutlich komplizierter war. Ich brauchte viel Unterricht, vor allem aber musste ich einfach oft im Sattel sitzen.

Ähnlich ist es mit so ziemlich allem, was man im Leben lernt – auch mit dem Schreiben. Ich habe immer gerne geschrieben. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, mit wie viel Freude ich mit dicken Stiften Buchstaben malte, Seite um Seite immer wieder dieselben Kringel, die mal ein A und mal ein E werden sollten. Und als ich endlich richtige Sätze schreiben konnte, die über das Niveau von „Oma ist krank“ und „Uwe spielt mit Ute“ hinaus gingen, öffnete sich mir eine neue Welt, in die ich begeistert eintrat. Fortan schrieb ich ständig, und zwar nicht nur für die Schule. Ich schrieb Briefe an all die Brieffreunde, die ich mir gesucht hatte, und in den Ferien auch an all meine Schulfreunde. Ich schrieb Tagebuch, in dem ich mich über Freud und Leid im Dasein einer Neunjährigen ausließ. Und ich dachte mir Geschichten aus, die ich in Schulhefte schrieb, die ich mit selbst gemalten Bildern verschönerte. Ohne es zu merken, entwickelte sich meine Sprache dadurch weiter. Die Sätze wurden immer flüssiger, die Ideen setzte ich immer besser um. Als ich älter wurde, begann ich zu experimentieren, ich schrieb Gedichte und haufenweise Texte, die ich heute als stilistische Übungen betrachten würde. Ich gab sie nie jemandem zum Lesen und war oft frustriert, dass aus den kleinen Fingerspielen nicht mehr wurde. Heute denke ich, dass ich dieses Experimentieren brauchte, das Suchen nach meinem eigenen Schreibstil, meine ganz persönliche Art, mich auszudrücken.

In den letzten Jahren habe ich sehr viel geschrieben, viel mehr als jemals zuvor. Das lag vor allem am Bloggen. Hier fand ich eine wunderbar einfache Möglichkeit, mich auszuprobieren und kleine und große Fingerübungen einem Publikum zu präsentieren. Die öffentliche Präsentation war dabei immer auch ein guter Anreiz. Man schreibt eben doch anders, wenn man genau weiß, dass etliche Leute einen Text lesen werden, als wenn er nur in der Schublade landet. In verschiedenen privat geführten Blogs habe ich viel herum gespielt und alltägliche Begebenheiten immer wieder neu verpackt. Es geht ja beim Bloggen selten um die ganz großen Ereignisse (es sei denn, man führt ein Journalisten-Blog), sondern um das tägliche Einerlei, das auf den ersten Blick vielleicht langweilig erscheint. Aber die Kunst liegt eben darin, diese Banalitäten des Alltags lebendig werden zu lassen. Ich gewöhnte mir an, ganz regelmäßig neue Texte zu veröffentlichen, auf diese Weise blieb ich ständig im Training. Und das kann ich nur empfehlen. Ein, zwei Blogtexte pro Woche genügen bereits, um dran zu bleiben. Es ist immer wieder spannend, zu sehen, welche Texte die Leser besonders mögen. Kritische Rückmeldungen bezüglich des Stils wird man dabei jedoch selten erhalten. Dafür sollte man sich eher in ein Literatur-Forum begeben. Doch Vorsicht! Häufig trifft man dort Selbstdarsteller an, die ihre eigenen Arbeiten erhöhen, indem sie die anderer Leute niedermachen. Mit konstruktiver Kritik hat das selten etwas zu tun. Hilfreich ist es aber in jedem Fall, viel zu lesen, andere Blogs, literarische Beiträge in Foren oder natürlich bereits veröffentlichte Bücher. Und es ist mindestens genauso hilfreich, sich gelegentlich mal in einem Seminar Tipps von einem Profi geben zu lassen.

Als Kind habe ich ganz eifrig Enid Blyton mit ihren Hanni und Nanni-Geschichten kopiert. So fängt es immer an. Man kopiert erfolgreiche Autoren. Auch heute noch gucke ich mir immer wieder Tricks bei den ganz Großen ab. Ich schaue genau hin, um zu lernen, wie Geschichten konstruiert sind, die mir gefallen, wie Dialoge beschaffen sind und Charaktere wachsen. Irgendwann muss man dann freilich etwas Eigenes finden, aber das kommt oft ganz von selbst, solange man dran bleibt und schreibt, schreibt, schreibt. Fertig ist man eigentlich nie. Aber das ist auch das Schöne am Schreiben, genauso wie am Reiten: Es wird nie langweilig, denn man kann auch nach dreißig Jahren immer noch ganz viel Neues lernen und sich selbst verbessern. Ich bleibe dran. Sie auch?

Donnerstag, 12. März 2009

Die letzten zwölf

Marathonläufer haben lauter bekloppte Sprüche drauf. Das kommt wohl davon, wenn man zuviel alkoholfreies Bier trinkt. „Ab Kilometer 22 läuft man nur noch nach Hause“, den hatten wir ja schon. „Ein Marathon beginnt erst bei Kilometer 30“, lautet ein anderer, den ich der Chefin bislang verschwiegen hatte: Die nächsten zwölf Kilometer drei Kapitel werden die härtesten, die sie in ihrem Leben je gelaufen ist geschrieben hat. Aber auf eins kann sie sich verlassen: Der Praktikant, Frau M. und der Buchhalter von nebenan werden alle an der Zielgerade stehen und ihr zujubeln. Und ich - ich postiere mich in der schrecklichen Leipziger Straße, wo es nichts, aber auch gar nichts zu sehen gibt, nur um einen herum lauter Leute, die sich mit schmerzverzerrten Gesichtern im Schneckentempo durch die allerallerhärtesten drei Kilometer quälen, die sie je gelaufen sind, und kein einziger Zuschauer einen anfeuert, weil sie ja alle am Brandenburger Tor sind.

Selbst wenn man beim ersten Versuch nicht die erhoffte Zeit schafft – persönliche Bestleistung ist es allemal. Der war übrigens von mir, kein hartgesottener Marathoni würde je so was Warmduscherisches von sich geben. Ich mag mein Bier halt lieber alkoholisch (und erlaufe trotzdem ganz ordentliche Ergebnisse, aber das nur nebenbei).

Falls Sie sich schon die ganze Zeit fragen, was Laufen überhaupt mit Schreiben zu tun hat, sollten Sie das hier lesen.

Montag, 2. März 2009

Kindheitsträume

Als ich klein war, wollte ich Pfarrersfrau werden, und falls das nicht klappen sollte, Schriftstellerin. Zur Vorbereitung verfasste ich ganze Wälzer über mein zukünftiges Familienleben. Sie bestanden aus gelochten weißen A5-Blättern (von „100 % Altpapier“, Blauem Engel oder FSC-Zertifizierungen waren wir damals weit entfernt), die ich sorgfältig durchnummerierte, mit Bleistiftzeichnungen illustrierte und mit bunten Wollfäden zusammenband. Mein Alter ego, die fiktionale Frau, die ich in zwanzig, dreißig Jahren sein wollte, hatte sechs Kinder – drei Mädchen und drei Jungen – mit burschikosen Namen wie Britta, Andrea, Dirk, einen Haufen Pferde und Hunde und ein uriges altes Fachwerkhaus. Der Vater der fröhlichen Brut kam eher selten vor, er musste halt das Geld ranschaffen, um all die hungrigen Mäuler zu stopfen.

Meine Hundephobie ist ja sowieso bekannt. Bald wurde mir auch klar, dass meine „Kinder, Küche, Kirche“-Karriere wohl immer eine Phantasie auf dem Papier bleiben würde und das Schriftstellerdasein meinen eigenbrötlerischen Neigungen viel eher entsprach. Von dem Erlös meines ersten Buches wollte ich mir eine kleine Insel kaufen und sie mit Pferden und Büchern bevölkern. Wenn mir nach Geselligkeit zumute war, würde ich zum Festland rudern oder liebe Freunde einladen, ansonsten meine Tage in mönchischer Stille und Besinnung verbringen und mich ganz meiner literarischen Berufung verschreiben.

Nachdem ich mit Hilfe eines äußerst knapp bemessenen Unterhaltsstipendiums vom Sozialamt, das damals noch nicht unter der lautmalerischen Bezeichnung „Hartz IV“ lief, zwei „erwachsene“ Romane geschrieben hatte, hätte ich mit den Ablehnungsbescheiden renommierter Verlage eine ganze Wand tapezieren können. Danach verschwanden die Manuskripte in der Schublade, und ich verschwendete meine schöpferischen Talente darauf, skeptischen Personalchefs die Lücken in meinem Lebenslauf als Kreativpausen zu verkaufen, dabei lacht sogar meine Rechtschreibprüfung über dieses Wort. Heute bin ich glücklich, wenn ich ab und zu ein Gedicht veröffentliche oder gar einen ganzen Band. Mein täglich Brot sind die Worte anderer Menschen. Als mich nach einer Lesung mal ein wohlmeinender, aber junger Mann fragte, ob ich vom Dichten leben könne, vermochte ich von Herzen darüber zu lachen.

Letzten Sommer lernte ich eine leibhaftige Schriftstellerin kennen. Sie ist Ende Zwanzig, schreibt anspruchsvolle, schöne Texte und war mir auf Anhieb so sympathisch, dass ich sie nicht einmal um ihren Erfolg beneiden konnte. Ihr Leben ist keine einsame Insel, sondern eine endlose Lesereise von einem Hotelzimmer zum nächsten, auf der ihr in zwanzig verschiedenen Sprachen immer wieder dieselben Fragen gestellt werden. Wenn sie an einem neuen Buch arbeiten will, muss sie ihre Verlegerin im Voraus bitten, ihr für ein paar Wochen sämtliche anderen Verpflichtungen vom Leib zu halten.

Abschied
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