Kultur und Bildung - Anmerkungen zur Zukunft des Altonaer Museums

In meinem Heimatort gab es ein Atelier, in dem regelmäßig wechselnde Ausstellungen stattfanden. Im Obergeschoss des kleinen, alten Hauses lebte ein Graphiker und Künstler mit seiner Familie, im Erdgeschoss befanden sich seine Werkstatt und die Ausstellungsräume. Ich liebte die Atmosphäre in den kleinen hellen Räumen, in denen eine andächtige Ruhe herrschte. Besonders das alte Kinderspielzeug hatte es mir angetan. Ich staunte über alte Murmelbahnen, Blechspielzeug und Porzellanpuppen. Je älter ich wurde, desto mehr begriff ich auch den Witz im Werk des Graphikers, der immer wieder eigene Arbeiten präsentierte. Kunst gehörte ganz selbstverständlich zum Alltag seiner Familie dazu. In jedem Winkel des Hauses konnte man Skulpturen, Gemälde und andere Objekte entdecken. Ich liebte dieses Haus mit seinen alten, knarzenden Dielen (bei uns gab es nur Auslegeware auf Betonböden), den verzierten Holztüren und den vielen alten Dingen zum Anschauen. Mein Vater war mit dem Künstler befreundet, und daher gab es nach der Kunst regelmäßig Kaffee und Kuchen im gemütlichen Wohnzimmer der Familie, der Hausherr, ein Sachse wie mein Vater, rauchte Pfeife und erzählte uns die Geschichten, die man in der Ausstellung nicht erfuhr: Wie er auf teilweise abenteuerlichen Wegen all diese Kunst- und Kulturgegenstände zusammengetragen hatte. Was die Künstler so für Menschen waren. Und wie seine Putzfrau eine Collage, an der er die ganze Nacht gearbeitet hatte, wegwarf, weil sie glaubte, das zerschnittene Papier sei Müll.

Mir wurde erst viele Jahre später bewusst, wie sehr mich die Besuche in diesem Künstlerhaus geprägt haben. Ich wohne heute selbst in einer Wohnung mit knarzenden Dielenböden, umgeben von Gegenständen, die an vergangene Zeiten erinnern. Und ich besuche gerne Museen und gehe der Vergangenheit auf den Grund. Es muss nicht immer die große Kunst dieser Welt sein, die uns prägt. Gewiss, auch die Mona Lisa hat mich beeindruckt („Och, so winzig!“), Monets Seerosen liebte ich sehr, vor Rodins Skulpturen staunte ich ehrfürchtig und Picassos Guernica bewegte mich. Alles Kunstwerke, die ich im Original sehen konnte, in Museen überall in Europa. Ich bin sehr froh, dass das möglich ist, und all diese Werke bis heute der Öffentlichkeit zugänglich sind. Aber auch und gerade in den kleinen Heimatmuseen lerne ich immer wieder sehr anschaulich, wie die Menschen früher gelebt haben, und warum vieles noch heute in unserer Gesellschaft so ist wie es ist. Wie kann ich die Bedeutung des Hamburger Hafens für diese Stadt ermessen, wenn ich mir nicht klar mache, wie sehr der Fischfang diese Stadt seit Jahrhunderten geprägt hat? Warum sollte ich Gold und Prunk im Hamburger Michel nicht kitschig finden, wenn ich noch nie etwas von der Epoche des Barock gehört habe?

An jeder Form von Kunst erkennen wir gesellschaftliche und politische Entwicklungen – sofern wir denn in der Lage sind, sie zu deuten. Kunst muss verstanden werden, sonst steht man hilflos davor und kann zu Recht fragen: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Kinder sind von Natur aus sehr wissbegierig. Wenn man sie lässt, können sie innerhalb kurzer Zeit enorm viel lernen. In der Kindheit wird die Basis für ein ganzes Leben gelegt, wer jetzt nicht Lesen und Rechnen lernt, wird es immer schwer haben. Wer jetzt nicht versteht, in was für eine Gesellschaft er geboren wurde, welche Werte und Traditionen sie prägen, wird später mit plumpen Vorurteilen und dumpfer Abwehr alles ablehnen, was ihm fremd und unverständlich erscheint. Kurzum: eine gute Bildung ist das Fundament jeder gut funktionierenden, demokratischen Gesellschaft. Ohne Bildung kann ich mich nicht einmischen, ich kann Gut nicht von Böse unterscheiden, ich kann mich und meine Familie nicht auf angemessene, für mich befriedigende Weise ernähren. Bildung ist die Zukunft eines jeden Landes, genau darum ist sie einer der wichtigsten Eckpfeiler in vielen Entwicklungsländern auf dem Weg hinaus aus der Armut.

Nur in Deutschland scheint das niemand so richtig verstanden zu haben. Hier wird ausgerechnet an der Bildung an allen Ecken und Enden gespart. Das fängt in den Schulen an und hört bei Museen und Theatern noch lange nicht auf. Ein Prunkbau wie die Elbphilharmonie, von dem nur eine kleine Elite der Stadt profitieren wird, ist den Hamburger Politikern wichtiger als der Zugang zu den Öffentlichen Bücherhallen oder den Schätzen der Museen. Sicher, gemessen an den Besucherzahlen, ist das Altonaer Museum kein Publikumsmagnet. Aber sollte man nicht mal fragen, woran das eigentlich liegt, statt so ein altes Haus einfach zu schließen? Nun ist der Plan der Schließung ja zum Glück vom Tisch – aus welchen taktischen Überlegungen heraus auch immer. Aber damit ist ja das Problem an sich noch nicht beseitigt. Der Erhalt des Museums kostet Geld. Wird die Stadt bereit sein, zu investieren? Werden die Verantwortlichen erkennen, dass die Zukunft dieser Stadt vor allem davon abhängt, wie viele gut gebildete Menschen in ihr leben? Letzten Endes ist doch auch die ganze Integrationsdebatte eine Frage der Bildung. Türken mit einer guten Berufsausbildung sind deutlich besser integriert als jene, die nicht mal einen Hauptschulabschluss haben. Und der zunehmende Fachkräftemangel im Land kann auch nur durch eine solide Ausbildung aller Kinder behoben werden. Kulturelle Bildung sollte da ganz selbstverständlich dazu gehören. Und das nicht nur, weil es viel Spaß machen kann, in alten Schätzen zu stöbern und sich spielerisch auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu begeben.

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