Das Leben entrümpeln

Frau Brown hat sich gerade von ihrem Leben in Berlin verabschiedet. Bei mir stehen momentan keine so großen Veränderungen an. Dennoch beschäftigt mich das Thema Abschied auch sehr, wie Sie u. a. hier lesen können. Doch es ist gar nicht immer nur der größte, endgültigste Abschied durch den Tod, der uns bewegt, weil er oft so verstörend und unbegreiflich ist. Vielmehr sind es die kleinen Abschiede des Alltags, die uns so viel Mühe bereiten. Das Loslassen der Kinder, die aus dem Haus gehen, der Job, der uns plötzlich gekündigt wurde, das Entrümpeln des Kellers, das man seit Jahren vor sich herschiebt. Warum ist das so? Warum scheint es oft leichter zu sein, sich an Erinnerungen zu klammern (selbst dann, wenn sie gar nicht schön sind), als vorwärts zu gehen und Neuland zu erkunden?

„Ist ein Fest schöner, weil es länger ist?“ hat die Malerin Paula Modersohn-Becker einmal gefragt. Da ahnte sie vermutlich noch nicht, dass sie selbst sehr jung sterben würde. Umso mehr berühren diese Zeilen aus heutiger Sicht. „Man soll ein Fest verlassen, wenn es am schönsten ist“, sagt der Volksmund. Doch wer schafft es tatsächlich, genau dann zu gehen, wenn die Stimmung gerade überbrodelt und nicht erst dann, wenn alle müde und betrunken in den Seilen hängen?

Ich bereite gerade ein Seminar zu den kleinen und großen Abschieden des Alltags vor. Und während ich lauter Bücher über die Kunst des Beendens lese und mir dabei Gedanken mache, wie ich all die klugen Gedanken didaktisch gelungen in ein Seminar einbauen kann, denke ich an meine eigenen Abschiede, die leichten ebenso wie die schweren. Ich hatte immer Mühe, loszulassen. Manchmal war das ein jahrelanger Prozess, der mit viel Angst und Verzweiflung verbunden war. Aber wenn es dann endlich geklappt hatte, wenn ich den Absprung geschafft hatte, dann fühlte ich mich sehr erleichtert.

"Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen." Auch Konfuzius erinnert uns daran, dass wir nur vorwärts gehen können, wenn wir alles Alte hinter uns gelassen haben. Im Laufe meines Lebens habe ich gelernt, dass ich leichter loslassen kann, wenn ich Abschiede sehr bewusst gestalte. Dabei nehme ich mir viel Zeit für Erinnerungen. Noch einmal denke ich ganz bewusst daran, wie viel mir die Arbeit an diesem Ort, mit diesen Menschen bedeutet hat. Ich erinnere mich an schöne und schwierige Begegnungen mit Kunden und Kollegen, sage innerlich leise Danke und schließe dann sehr bewusst die Tür hinter mir. Oder ich nehme die alte Lieblingsjeans noch mal in die Hand, befühle den Stoff, denke daran, wie ich mich gefühlt habe, während ich sie trug, begutachte dann sehr genau all die fadenscheinigen Stellen, den ausgefransten Stoff unten an den Beinen, seufze vielleicht bedauernd darüber, dass vieles heute nicht mehr so haltbar ist wie früher – und weg damit!

Das eigene Leben zu entrümpeln, bedeutet immer auch, Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu löschen. Ich muss mich nicht an alle schrecklichen Momente meines Lebens erinnern, an alle Demütigungen, Augenblicke des Versagens, des Zorns, der Peinlichkeiten. Es ist gut, Dinge zu vergessen, aus meinem Gehirn auszumisten. Wie man sich fühlt, wenn das nicht funktioniert, zeigt dieser Fall sehr anschaulich.

Abschiednehmen ist tatsächlich eine Kunst für sich. Sie zu erlernen ist vermutlich ein lebenslanger Prozess. Doch wer diese Kunst wenigstens ein bisschen beherrscht, wird auf jeden Fall offener für Neues, bereiter für Veränderungen sein als jene Menschen, die sicht ängstlich an die Vergangenheit klammern.

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