Stillos

Ich solle mir ja keine Gedanken um „Stil“ machen, schreibt mir der Autor, dessen Buch ich gerade übersetze, denn er selber habe überhaupt keinen, er benutze einfach ein gut verständliches Englisch. So‘n Quatsch! denke ich spontan, aber weil ich diesen Mann sehr schätze und achte, sage ich es natürlich nicht. Und weil er seinerseits ein überzeugendes Argument zu schätzen weiß, versuche ich ihm stattdessen zu erklären, warum er Unrecht hat, Stil als etwas abzutun, was einem Text künstlich aufgepfropft wird – gar als etwas, was sich zwischen Text und Leser schiebt und das Verständnis behindert. Tatsächlich gibt es Bücher, die keinen Stil haben, aber sie lesen sich deshalb nicht unbedingt besser oder leichter, und seines gehört gottlob nicht dazu!

Es kommt nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern darauf, wie es gesagt wird: Das ist ein Allgemeinplatz aus der Kultur- und Kommunikationswissenschaft, von der PR-Branche mal ganz zu schweigen, aber auch eine alltägliche Erfahrung. Wie viel aufmerksamer hören wir jemandem zu, dessen Stimme angenehm klingt, der voller Überzeugung spricht, dessen Worte sich uns ins Gedächtnis prägen! Wie kalt lassen uns Texte, die klingen, als seien sie maschinell erstellt worden – wie viel stärker beeindrucken uns solche, aus denen ein lebendiger Mensch spricht, der ebendiese Worte und keine anderen gewählt hat, um ebendiese Geschichte zu erzählen oder ebendiese Meinung zu vertreten! Eine solche Stimme erkennen wir wieder und schenken ihr sofort Vertrauen, wenn wir sie das nächste Mal hören.

Nennen wir es also nicht Stil, nennen wir es ruhig Stimme, auch das ein prächtiger literaturwissenschaftlicher Begriff. Gerade dieser Mann, der lange Zeit als Pastor tätig war, schreibt mit kraftvoller, klangvoller Stimme, deren schlichte Worte von alttestamentarischer Schönheit und Ehrwürdigkeit so weit tragen, dass man ihm auch auf der hintersten Kirchenbank noch folgen kann.

Das merke ich vor allem deswegen, weil ich als Übersetzerin auch ein bisschen Bauchrednerin bin, also die Kunst beherrschen muss, meine eigene Stimme zu verstellen und mit derjenigen eines Anderen zu sprechen. Je länger und je intensiver ich mich in ein Buch vertiefe, mit desto mehr Selbstverständlichkeit verfalle ich weit über die eigentliche Übersetzungsarbeit hinaus in die Sprachrhythmen und das Vokabular des jeweiligen Autors.

Wenn ich nun mit diesem Menschen kommuniziere, dessen Buch ich gerade übersetze – und sei es per E-Mail, diesem „beklagenswert flüchtigen Medium“, wie er sagt –, dann krame ich entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten oft lange in meinem Wortschatz, halte so manches Kleinod prüfend gegen das Licht, wende es hin und her, bis ich gefunden habe, was ich suche, poliere es auf Hochglanz, lege es auf die Goldwaage und wiege es sorgfältig gegen anderes ebenso Hochkarätiges ab, um ihm dann eine formschöne Fassung zu schmieden, die selbst unscheinbare Objekte dezent funkeln lässt.

Was dabei herauskommt, sind keine verschrobenen Wortgebilde, wie es diese langatmige Schilderung vielleicht nahe legt – weder Staubfänger noch Blickfang und doch mehr als solides Handwerk –, sondern Sätze von einer Prägnanz und Autorität, die mich jedes Mal erstaunt. Wenn das kein Stil sein soll! Nur kostet mich eine solche Ausdrucksweise, die ihm nach jahrzehntelanger Übung ganz „natürlich“ und ungekünstelt vorkommen mag, eben einige Mühsal.

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