Tomaten im Dezember

Früher aßen die Menschen mit den Jahreszeiten. Im Sommer gab es frisches Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten, im Winter Eingemachtes, Gepökeltes, Getreide und Wintergemüse wie Kohl. Doch in einer Welt, in der man Jahreszeiten nur noch an der Mode festmacht (im Sommer leichte Kleidung und Sandalen, im Winter Wollmützen und Stiefel), sieht es in der Gemüseabteilung des Supermarkts das ganze Jahr über mehr oder weniger gleich aus. Gurken, Tomaten, Auberginen, Paprika findet man von Januar bis Dezember in jedem deutschen Laden, der Gemüse verkauft. Mittlerweile liegen in der Obstecke zwischen Orangen und Äpfeln sogar auch immer häufiger Kirschen und Erdbeeren, unabhängig von den Monaten, in denen sie in unseren Breiten gedeihen.

Die permanente Verfügbarkeit von Produkten, die in Deutschland nur zu bestimmten Zeiten wachsen, hat leider einen erheblich höheren Preis, als der Kunde bereit ist zu zahlen. Gerne vergessen wir, dass irgendwo auf dieser Welt Menschen ausgebeutet werden, damit wir billig und rund um die Uhr konsumieren können. Meistens leben und arbeiten diese Menschen so weit weg von uns, dass es sehr einfach ist, die Umstände zu verdrängen, unter denen unsere Kaffeebohnen angebaut, der Orangensaft hergestellt, die Jeans genäht wurde. Doch wie sieht es aus, wenn wir auf einmal entdecken, dass in einem unserer liebsten Urlaubsländer, mitten in Europa Menschen unter unwürdigen Umständen leben und arbeiten – damit wir uns den fragwürdigen Luxus von Tomaten im Dezember leisten können.

Im Altonaer Einkaufszentrum Mercado ist noch bis zum 17. Januar unter dem Titel "Gekentert im Plastikmeer" eine Ausstellung von Bodo Marks und Shelina Islam zu sehen. Die Beiden haben Menschen fotografiert, die in Almería in Südspanien in riesigen Gemüse-Plantagen arbeiten, die Hälfte von ihnen ohne Papiere, ohne Rechte. Sie sind Migranten aus Marokko und dem südlichen Afrika und verhelfen der spanischen Agrarwirtschaft zu einem enormen Geschäft, während sie Pestizide ohne Schutzkleidung ausbringen müssen, in Behausungen ohne Elektrizität und Trinkwasser hausen, für einen Hungerlohn bis zu 16 Stunden täglich schuften, Opfer von Gewalt werden. Ihren Arbeitgebern scheint es sehr gelegen zu kommen, dass sie Illegale sind und somit niemand nach ihren Rechten fragt.

Auch wir fragen nicht, sondern nehmen es als Selbstverständlichkeit hin, dass wir auch im Winter im Supermarkt frische Tomaten kaufen können, für knapp zwei Euro das Kilo. Wer nicht länger wegschauen möchte, sollte sich die Ausstellung ansehen, die in eindrücklichen Bildern kleine Geschichten erzählt, die unter die Haut gehen und den Preis bewusst machen, den andere Menschen für unseren Lebensstandard zahlen müssen.

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