Machtspielchen

Neulich rief mich ein langjähriger Stammkunde an und wollte mir – wieder einmal – übers Wochenende ein umfangreiches, anspruchsvolles, mit einigem Rechercheaufwand verbundenes Projekt aufdrücken. Diesmal habe ich dankend abgelehnt – und zwar aus Prinzip. Gewiss, ich hätte es schon irgendwie hingekriegt. Nicht umsonst bin ich bekannt dafür (und stolz darauf), dass ich immer alles irgendwie hinkriege. Ich hätte halt meine Wochenendplanung umschmeißen, Verabredungen absagen und mich unter Hochdruck setzen müssen. Und das mitten im Advent, wo man es doch ab und zu ganz gerne beschaulicher und gemütlicher angehen lässt.

Alle Leute, mit denen ich zusammenarbeite, wissen genau, dass ich dazu fast immer bereit bin – wenn es nicht anders geht. In diesem Fall handelte es sich um die Würdigung eines Jubiläums, die rein theoretisch zehn, ja fünfzig Jahre im voraus planbar gewesen wäre. Was sollen also immer diese just in time-Bestellungen? Die Knotenpunkte sind schließlich kein Zulieferbetrieb, dessen Waren bis zu ihrer Weiterverwendung in klimatisierten Lagerhallen aufbewahrt werden müssen. Ganz im Gegenteil, liebe Kunden: Unsere Texte gelingen um so besser, je länger Sie uns Zeit lassen, an ihnen herumzufeilen.

Zudem kenne ich die Abläufe in jener Firma sehr gut und weiß daher: Dass der Anruf am Freitagvormittag kam statt vor vier Wochen, lag einzig und allein an der Schusseligkeit des betreffenden Mitarbeiters. Er räumt das sogar freimütig ein – um mir im nächsten Atemzug an den Kopf zu werfen, wie „enttäuscht“ er von mir sei. Nicht im Traum hätte er damit gerechnet, dass ich ihm einen Korb gebe, „und dann auch noch mit so einer fadenscheinigen Begründung!“

Konfliktscheu wie ich bin, blieb ich doch standhaft. Mein Wochenende war trotzdem verdorben. Denn während ich mit meinem Schatz am Frühstückstisch saß und mit meiner Freundin durchs Museum schlenderte, maulte mein schlechtes Gewissen vor sich hin: Mit ein bisschen gutem Willen hättest du das geschafft. Das Geld hättest du gut gebrauchen können, und der Auftraggeber wäre dir einen Gefallen schuldig!

Ich frage mich, welche Machtstrukturen dabei eigentlich im Spiel waren: das „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“-Syndrom, wie meine Freundin meinte? („Er hatte ein Problem und hat versucht, es auf dich abzuwälzen. Gut, dass du das nicht mit dir machen lässt!“) Sie kennen das ja: der Geschlechterkampf als clash of civilizations, in dem sich die Fußtruppen zweier verfeindeter Planeten um die Vorherrschaft über die Erde bekriegen. Vor ein paar Jahren waren Buchhandlungen und weihnachtliche Gabentische voll von solchen Titeln.

Mir sind derartige Erklärungsmuster zu primitiv. Lieber wittere ich eine fiese Verschwörung der Führungselite gegen uns kleine Schreiberlinge, das Lumpenproletariat der Kommunikationsgesellschaft. Jeder Agenturchef, jeder Redakteur, jeder Verlagslektor weiß, dass wir Freien allen möglichen Dreck fressen – man muss uns nur gelegentlich ein paar Brotkrümel oder Brosamen hinwerfen!

Der Praktikant, der unser Telefonat am Freitag zufällig mitgehört hat, zuckt mal wieder mit den Achseln. „Du bist Dienstleisterin, und wenn du keinen Bock hast, deinen Kunden zu liefern, was und wann sie es brauchen, musst du dich gar nicht wundern, wenn deine Auftragslage bald ganz schön mau aussieht! Wer bezahlt, der bestellt, so ist das nun mal“, belehrt er mich ungerührt, „ob‘s dir passt oder nicht.“ Was ist denn in den gefahren? Hat er etwa einen Selbsthilferatgeber für Möchtegern-Manager verschluckt („Zack! In meinem Team muckt keiner auf“), oder liegt es nur daran, dass er selber vom Mars stammt?

Vor all diesen Rätseln des Alltags kapituliere ich erstmal, schlage ihnen meine Bürotür vor der Nase zu und entscheide mich fürs produktive Schmollen.

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