Coaching mit Frau M. – Teil 1

Frau M. kommt in ihre erste Coachingstunde zu mir. Wir haben anderthalb Stunden Zeit, in denen Frau M. zunächst noch mal ausführlicher erzählt, was sie auf dem Herzen hat.
„Was ist Ihr Ziel für die Arbeit mit mir?“ frage ich. „Was möchten Sie gerne erreichen?“ Die Antwort kommt schnell:
„Ich möchte wieder arbeiten und meine Zeit sinnvoll füllen.“
Nun bin ich keine Jobvermittlerin und kann daher keinen Arbeitsplatz für Frau M. aus dem Hut zaubern. Also frage ich noch mal genauer nach:
„Angenommen, dieses Coaching war erfolgreich, was ist dann anders in Ihrem Leben?“ Diesmal denkt Frau M. einen Augenblick nach.
„Dann habe ich Ideen, wie ich die Jobsuche anpacken kann. Und ich habe auch den Mut, mich endlich auf den Weg zu machen.“
Mut und Ideen, denke ich, das klingt gut. Das Ziel unserer Arbeit wird also sein, dass Frau M. herausfindet, wie sie ihren nächsten Lebensabschnitt gestalten möchte und das Selbstbewusstsein erlangt, diese Veränderungen auch in Gang zu bringen.

Zunächst nehmen wir eine Standortbestimmung vor. Wie ist Frau M.s momentane Situation? Welche Bereiche ihres Lebens sind stark ausgeprägt, welche weniger? Wo läuft ihr Lebensrad rund, wo eiert es ein wenig? Um das herauszufinden, bastele ich mit Kreppband und bunten Pappkärtchen ein Lebensrad auf dem Fußboden. Jede Karte symbolisiert einen Bereich des Lebens – Familie, Beruf, Gesundheit, etc. Mit farbigen Stiften kann Frau M. nun auf den Karten markieren, wie ihre momentane Situation ist und was sie sich für die Zukunft wünscht. Auf diese Weise lässt sich das Leben von Frau M. sehr schön visualisieren. Außerdem zwingt diese Arbeit am Boden sie, sich schon jetzt zu bewegen. Sie stellt sich mit den Schuhen auf die einzelnen Karten, die ihre Lebensbereiche symbolisieren, wandert zwischen Beruf und Partnerschaft hin und her und pendelt zwischen Gegenwart und Zukunft. Das ist jetzt und das soll in Zukunft sein.

Es wird schnell deutlich, dass Frau M. ihre Kinder sehr wichtig sind. Obwohl ihr Sohn (unser Praktikant) und seine Schwester nicht mehr zuhause wohnen, haben sie engen Kontakt zur Mutter. Das gibt Frau M. ein Gefühl von Geborgenheit. Körperlich geht es ihr gut, sie treibt viel Sport und fühlt sich für ihr Alter sehr fit. Aber sie leidet sehr darunter, dass sie nur einen kleinen Freundeskreis hat, was ihr erst richtig bewusst wurde, nachdem ihre Tochter vor wenigen Monaten auszog und sie nun ganz alleine in der großen Wohnung ist. Nach ihrer Scheidung sind ihr viele Freunde abhanden gekommen, weil sie mehr zu ihrem Mann als zu ihr zu gehören schienen.
„Ich bin müde“, sagt Frau M., als sie auf dem Energie-Feld steht, „wie gelähmt irgendwie. Ich habe Angst davor, Neues in Angriff zu nehmen, weil ich überhaupt nicht weiß, wie ich das machen soll. Jetzt bin ich so lange aus dem Beruf raus, dass ich mir auf beruflicher Ebene gar nichts mehr zutraue.“
Als es um das Thema Partnerschaft geht, wird sie sehr still.
„Mein Mann hat mich vor fünf Jahren wegen einer anderen Frau sitzen lassen“, erzählt sie nach einer Weile, und ich höre aus ihrer Stimme heraus, dass sie immer noch tief verletzt ist. „Knall auf Fall stand ich mit den Kindern alleine da. Ich hatte nie den Mut, mich auf eine neue Beziehung einzulassen.“
Fehlender Mut scheint ein zentrales Thema in Frau M.s Leben zu sein, denke ich, und Trauer und Verletzungen schwingen auch immer wieder mit. Behutsam begleite ich sie von Lebensfeld zu Lebensfeld. Für die geplanten Veränderungen formulieren wir einen klaren Zeitraum:
„Wie soll Ihr Leben in einem Jahr aussehen?“ frage ich und Frau M. beginnt davon zu träumen, was sie alles erreichen möchte. Mit kritischen Fragen bringe ich sie dazu, keine unrealistischen Fantasien zu hegen, sondern genau zu überlegen, was sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten wirklich schaffen kann. Wo sind Hindernisse? Was gilt es zu bedenken? Am Ende schaut Frau M. mit einem Lächeln auf ihr Lebensrad:
„Das sind schöne Aussichten. Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht.“
In dieser positiven Stimmung beenden wir die Arbeit für heute. Ich bitte Frau M. noch um ein kurzes Feedback.
„Ich bin ganz überrascht, was hier alles zutage kommt“, sagt sie. „Irgendwie hatte ich mir das ganz anders vorgestellt.“ Sie sieht zufrieden aus. „Und jetzt bin ich gespannt, wie es weiter geht.“
Das bin ich auch.

Fortsetzung folgt

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