Psycho-Kram

Manchmal hege ich doch so meine Zweifel, ob ich mir für die Knotenpunkt das richtige Team zusammengestellt habe. Hören mir die Kollegen eigentlich zu, wenn ich etwas erzähle? Bilden sie sich in meinem Sinne weiter? Ich mache jetzt mal ein ganz großes Fragezeichen hinter diesen Satz. Immerhin, unser junger Praktikant hat doch das ein oder andere Gespräch mit mir recht aufmerksam verfolgt, das überrascht mich nun wieder positiv. Wohingegen Frau Brown… Also, unter uns gesagt: Ich bin erschüttert über ihre Ahnungslosigkeit.

Wie oft habe ich schon gesagt:
„Coaching ist keine Beratung. Man erteilt nicht einfach Ratschläge, an die sich die Klienten dann halten können oder auch nicht. Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ich unterstütze die Klienten darin, eigene Lösungen zu finden. Er (oder sie) muss seinen eigenen Weg finden, ich helfe nur beim Suchen.“
Aber hört mir mal jemand richtig zu, um auch in meiner Abwesenheit Kunden kompetent beraten zu können? Nein. Ich muss mich hier wirklich selbst um alles kümmern.

Der Witz beim Coaching ist eben gerade, dass die Klienten ihre eigenen Ideen entwickeln. Darum ist das Ganze dann auch so wirkungsvoll. Denn nur das, was aus mir selbst heraus kommt, ist absolut stimmig für mich. Wir alle tragen eine Menge Ressourcen in uns, Fähigkeiten, Begabungen, Talente, Charaktereigenschaften, die uns stark machen. Oft ist es nur so, dass diese Kompetenzen im Laufe eines Lebens dank vieler kleiner und großer Umstände verloren gehen – und zwar so gründlich, dass wir uns selbst nicht mehr an sie erinnern. Dann behaupten wir etwa, überhaupt kein Selbstvertrauen zu besitzen und vergessen ganz, wie viel Vertrauen wir in Wahrheit doch schon in unsere eigenen Fähigkeiten gesetzt haben. Oder hat es etwa nicht mit Selbstvertrauen zu tun, wenn wir uns auf einen neuen Job bewerben und behaupten, der Beste dafür zu sein? Sind wir nicht sehr von uns selbst überzeugt, wenn wir uns zutrauen, Kinder in die Welt zu setzen und sie zu erziehen? Wirken wir nicht total souverän, wenn wir in der Firma eine Präsentation halten, auf die wir uns gründlich vorbereitet haben (auch, wenn wir innerlich vor Aufregung fast kollabieren)? Haben wir es etwa nicht geschafft, Laufen zu lernen, Radfahren zu lernen, Autofahren zu lernen?

Die verschütteten Ressourcen wieder freizulegen, ist eines der Hauptanliegen im Coaching. Wenn das gelingt, dann schafft es der Kunde in Zukunft besser, mit schwierigen Situationen umzugehen, egal worum es geht. Ob das Psycho-Kram ist oder einfach nur ein prima Weg, etwas fröhlicher, gelassener, selbstbewusster, zielstrebiger, wertorientierter durchs Leben zu wandern, bleibt Jedem selbst überlassen. Was es jedenfalls nicht ist: Eine Wunderwaffe gegen alles Elend dieser Welt. Ein Rundumsorglospaket für die eigene Zukunft. Ein Allheilmittel gegen alle eigenen Ängste und Nöte. Das wäre ja nun auch wirklich zu schön.

„Kannst du denn nun meiner Mutter helfen?“ fragt der Praktikant ungeduldig. „Das weiß ich nicht“, entgegne ich wahrheitsgemäß, was ihn prompt dazu veranlasst, diesen misstrauischen Blick aufzusetzen, den ich oft an ihm beobachte.
„Sag deiner Mutter, sie soll mich mal anrufen und einen Termin für ein Erstgespräch mit mir vereinbaren. Dann klären wir ganz unverbindlich, ob ich die richtige Adresse für sie bin und ob wir einander sympathisch sind. Das ist ganz wichtig, sonst können wir uns nicht so eng aufeinander einlassen.“
„Ach, die wird dich schon mögen. Du bist doch ganz locker.“
Das ist nun wohl das größte Kompliment, das ich von unserem Praktikanten hören werde, und es macht mich ein bisschen verlegen. Dennoch mahne ich:
„Das findest du. Aber deine Mutter legt vielleicht auf ganz andere Dinge Wert. Sie muss mich mögen, nicht du. Also, gib ihr meine Nummer, dann beantworte ich alle ihre Fragen.“
Na, ich bin ja gespannt, wie diese Geschichte weiter geht.

Fortsetzung folgt.

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