Donnerstag, 1. April 2010

Erste Liebe

Die erste große Liebe meines Lebens ging in die Brüche, als wir beide zehn Jahre alt waren und aufs Gymnasium kamen. In der Grundschule waren wir ein Traumpaar: ich die brave Klassenbeste, er der Beste auf dem Sportplatz, Klassensprecher und mit seinen goldenen Engelslocken Liebling sämtlicher Lehrerinnen. Dann wurde alles anders: Plötzlich reichten eine Eins in Mathe und ein paar todesmutige Sprünge vom Fünfmeterbrett nicht mehr aus, um bei den Jungs gut anzukommen. Andere Mädchen waren hübscher als ich, schlanker, blonder, bald auch fraulicher.

Er dagegen war beliebter als je zuvor: Torschützenkönig der Schulmannschaft, Oscar-verdächtiger Hauptdarsteller in den Träumen und den Tagebüchern meiner neuen Mitschülerinnen, gern gesehener Gast auf jeder Party – Fete, sagten wir damals –, ob mit oder ohne seine Band. Meine Mutter, der ich auf langen Spaziergängen meinen Liebeskummer in epischer Breite schilderte, meinte mit ganz ungewohnter Boshaftigkeit, sie habe sich schon immer gefragt, wie zwei so unscheinbare Eltern einen solch brillanten Sohn zeugen konnten.

Heute – das weiß ich dank Google – übt er in unserer Heimatstadt in der westdeutschen Provinz einen grundsoliden bürgerlichen Beruf aus, in dem er recht erfolgreich ist, hält Vorträge beim Mittelstandsverband der CDU, ist mit seiner Freundin aus der Oberstufe verheiratet und im Sportverein aktiv, auch dies recht erfolgreich. Auf Bildern sieht er verbissen und verhärmt aus, dieser Junge, aus dem alles hätte werden können.

Als ich die ganze Tragik dieser Geschichte neulich im Berliner Kollegenkreis zum Besten gab, fielen die Reaktionen recht unterschiedlich aus – von spöttisch („Ich war immerhin mal Kassierer im Penny-Markt!“) bis nostalgisch. Ein besonders pragmatischer Zeitgenosse meinte: „Wärst du doch bloß mit dem zusammen geblieben – dann könntest du heute drei warme Mahlzeiten am Tag essen und zweimal im Jahr nach Neuseeland jetten!“

Ein anderer Bekannter vertraute mir später an, er habe im Anschluss an unser Gespräch ganze Stunden mit dem letztlich vergeblichen Versuch verbracht, seine eigene Jugendliebe in den Weiten des Internet aufzuspüren. Ob wir ihnen ihre Erfolge gönnen oder mit Schadenfreude zur Kenntnis nehmen, dass auch ihre Träume sich nicht erfüllt haben – die eine oder andere Träne weint wohl jede(r) von uns den Weißt-du-nochs, den Was-wäre-wenns und Hätte-so-schön-sein-könnens nach!

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