Mittwoch, 13. Januar 2010

Baumbesetzung in Altona

Ich habe es gern gemütlich. Kerzen, heißer Tee, schöne Musik, mit einer kuscheligen Decke über den Beinen auf dem Sofa sitzen und lesen, selbstgebackene Plätzchen essen und dem Schneetreiben vor dem Fenster zuschauen – das ist für mich der perfekte Winterabend. Die Heizung gibt behagliche Wärme ab, die Leselampe verbreitet angenehmes Licht.

Doch gelegentlich wird mir klar, dass diese warme Behaglichkeit nicht selbstverständlich ist und ihren Preis hat. Die Energie für Strom und Heizung muss her. Wo genau sie herkommt, war mir viele Jahre mehr oder weniger egal. Ich bin zwar mit dem Slogan „Atomkraft? Nein danke!“ aufgewachsen, aber im Alltag habe ich mich lange Zeit nicht darum gekümmert, woher der Strom eigentlich kommt, mit dem ich meine Lampen, den Laptop, den Herd betreibe. Vielleicht lag das daran, dass ich keine Wahlmöglichkeiten hatte. Der Strom kam vom Hamburger Elektrizitätswerk, fertig. Ökostrom war ein bisschen teurer, aber war es das wirklich wert? Hm. Ich sparte die paar Mark lieber.

Dann begann die Ära der privaten Stromanbieter, und auf einmal war alles in Bewegung. Plötzlich häuften sich Beschwerden von Verbrauchern wegen überteuerter Preise und schlechtem Service. Stromanbieter sind auf einmal nicht mehr die Städte und Gemeinden, sondern große, mächtige Konzerne, die mit uns kleinen Leuten offenbar machen können, was sie wollen. Die Politik schaut hilflos zu. Genauso wie ich auf meinem Sofa unter meiner warmen Wolldecke. Dass sich in Hamburg ein gigantischer Umweltskandal anbahnte, habe ich jahrelang ignoriert. Moorburg ist ja auf der anderen Seite der Elbe, gefühlt weit weg. Und doch in meiner direkten Nachbarschaft. Und jetzt plötzlich betrifft mich der von Vattenfall geplante Bau des Kohlekraftwerks sogar ganz persönlich. Für eine Fernwärmetrasse, die auf einer Strecke von 12 Kilometern quer durch Hamburg gezogen wird, sollen über 300 zum Teil große und sehr alte Bäume gefällt werden, viele davon im sogenannten Altonaer Grünzeug, einer Reihe kleiner Parks, die sich direkt vor meiner Haustür befinden. Ich bin bestürzt. Und zornig auf eine grüne Regierung, die mit der Zustimmung zu diesem Projekt alle Ideale verraten hat, die ich mit dieser Partei verbinde.

Baumbesetzung

Doch während ich weiter gemütlich auf meinem Sofa sitze, sind andere längst aktiv geworden. Jürgen und Olivia, Anwohner des Gählerparks, besetzten einen der Bäume und bauten sich in seiner Krone ein Baumhaus, in dem sie seit Anfang Dezember leben. Auf Transparenten und kleinen Schildern machen sie auf den Umweltskandal aufmerksam, der sich hier anbahnt und ohne Zustimmung der Bevölkerung eingeleitet wurde. Ich ging kurz vor Weihnachten in strömendem Regen an dem Baum vorbei und dachte damals: Respekt, aber die werden sicher nicht lange durchhalten. Umso erstaunter war ich, als ich im neuen Jahr feststellte, dass die Baumbesetzer nicht nur immer noch da sind – sie haben vielmehr Verstärkung von Robin-Wood-Aktivisten erhalten. Mittlerweile gibt es fünf Baumhäuser im Gählerpark, in denen die Aktivisten leben und jeder Witterung trotzen.

Gestern sprach ich kurz mit Jürgen, der von Anfang an dabei ist. Er machte einen sehr energiegeladenen, fröhlichen Eindruck. "Wir kriegen so viel Unterstützung von den Leuten aus der Nachbarschaft, das ermutigt uns, durchzuhalten", sagte er begeistert. Menschen wie Jürgen und Olivia haben wir es zu verdanken, dass in dieser Welt immer wieder Korrekturen vorgenommen werden, dass Politik und Wirtschaft zum Umdenken gezwungen werden, dass nicht immer nur die Großen gewinnen. Ich schäme mich ein wenig, dass ich wieder zuhause in meiner warmen Wohnung sitze und hier jeden Komfort genieße, während da draußen Menschen frieren und Entbehrungen in Kauf nehmen, damit auch mein Leben gut bleibt. Ich habe Jürgen gefragt, was ich tun kann, was wir alle tun können, um den Bau der Fernwärmetrasse (und damit den Bau des gesamten Kohlekraftwerks) zu verhindern. „Beteiligt euch an unseren Aktionen“, sagte er. Und mit einem fröhlichen Grinsen setzte er hinzu: „Du kannst dich auch an einen der Bäume ketten, wenn er gefällt werden soll.“

Ich fange erst mal klein an und berichte in diesem Blog über die Baumbesetzungen. Und vielleicht greife ich sogar Jürgens Vorschlag auf, wer weiß. Es ist an der Zeit, das warme Sofa zu verlassen und Menschen wie Jürgen und Olivia zu unterstützen - damit wir alle in einer besseren Welt leben können.

Informationen über das Kohlekraftwerk in Moorburg:
Spiegel online
taz
wikipedia
Robin Wood
BUND

Informationen über die Fernwärmetrasse und Baumbesetzungen:
Bürgerinitiative
Radio Hamburg
Robin Wood
Hamburger Abendblatt

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