Dienstag, 5. Januar 2010

Gefälligkeiten

Kennen Sie das? Jemand aus Ihrem mehr oder weniger engen Umfeld, der weiß, was Sie beruflich machen, bittet Sie um einen kleinen Gefallen, für den er sich bei nächster Gelegenheit erkenntlich zu zeigen verspricht. Im Idealfall fällt Ihnen sofort eine entsprechende Gegenleistung ein und Sie können ihm antworten: Gerne, kannst du dafür das-und-das für mich machen? Alles bestens – netzwerken nennt man so was oder auch networking, und wie wichtig das ist, hat man Ihnen garantiert auch schon mal in dem einen oder anderen Weiterbildungsseminar eingetrichtert. Leider fügt es sich selten so glücklich. Zumeist kratzen wir uns eher am Kopf und grübeln, ob der Betreffende überhaupt irgend etwas zu bieten hat, das uns interessieren könnte – sagen dann aber trotzdem zu, weil wir ja nicht kleinkariert oder herzlos erscheinen möchten.

Typisch Frau? Na, wenn Sie meinen. Jedenfalls ist es mir neulich so ergangen. Dabei habe ich gemerkt, dass hier für mich ein grundsätzlicher Klärungsbedarf bestand: Für wen bin ich aus welchen Gründen bereit, in welchem Umfang etwas umsonst zu machen? Klar, ich würde liebend gern in einer Gesellschaft leben, die auf der Selbstverständlichkeit gegenseitiger Gefälligkeiten und Hilfeleistungen beruht. Aber so funktioniert es nun mal nicht, sondern Übersetzen und Lektorieren ist mein Broterwerb, und wenn ich meine Arbeitszeit allzu großzügig verschenke, muss ich eben verhungern. Und da ich mir vorstellen kann, dass die eine oder der andere unter Ihnen sich auch schon einmal in ähnlichen Konfliktsituationen befunden hat, nachfolgend ein paar Richtlinien und praktische Hinweise, die ich für mich aufgestellt bzw. von Kollegen eingeholt habe, bei denen ich mich bei nächster Gelegenheit erkenntlich zeigen werde.

• Wenn jemand privat mit einem derartigen Anliegen auf Sie zukommt, klären Sie zunächst (für sich, aber auch im Gespräch mit dem Betreffenden), ob er einen freundschaftlichen Rat sucht oder Sie um professionelle Hilfe bittet. Ist Letzteres der Fall, machen Sie ihm ein faires Angebot, das ruhig bei der Hälfte Ihres üblichen Honorars liegen kann.
• Sollten Sie selber einmal in die Verlegenheit geraten, einen Freund in einer professionellen Kapazität zu Rate zu ziehen, überlegen Sie sich vorher, was Sie im Gegenzug anbieten können und wollen. Damit signalisieren Sie einerseits, dass Sie die Arbeit des Anderen schätzen, und zum anderen, dass Sie ihn ansprechen, weil sie seiner fachlichen Kompetenz vertrauen, und nicht nur, weil Sie Geld sparen wollen.
• Falls Sie darauf spekulieren, auf diese Weise Kontakte zu knüpfen und sich durch Ihren Fleiß und Ihre Bescheidenheit für zukünftige Aufträge zu empfehlen, sollten Sie sich Folgendes gut überlegen: Möchten Sie lieber aufgrund Ihrer Professionalität und Kompetenz weiterempfohlen werden oder als jemand, der bereit ist, umsonst zu arbeiten?
• Sie können es sich leisten, Ihre Arbeitskraft zu verschenken, weil Sie gerade im Lotto gewonnen oder einen fetten Auftrag an Land gezogen haben? Herzlichen Glückwunsch! Trotzdem sollten Sie an Ihre weniger vom Schicksal gesegneten Kollegen und Kolleginnen denken. Je mehr Menschen bereit sind, für weniger oder gar nichts zu arbeiten, desto weniger Wert bekommt ihre Arbeitskraft, so ist das nun mal in der freien Marktwirtschaft. Wenn Sie gerne was Gutes tun wollen, können Sie sich ja bei Greenpeace oder Amnesty engagieren.
• Scheuen Sie sich trotz allem nicht, den Spaßfaktor zu berücksichtigen. Reizt Sie der Auftrag? Haben Sie das Gefühl, dabei Ihre Fähigkeiten ausprobieren oder etwas dazulernen zu können? Verdient der Andere auch nichts daran? Na los, geben Sie sich einen Ruck und vergessen Sie alles oben Gesagte!
• Und schließlich: Wenn es tatsächlich nur um eine Sache von zehn Minuten geht – Schwamm drüber! Man muss auch nicht an alles und jedes ein Preisschild hängen. Wo Ihre persönliche Schmerzgrenze liegt, müssen Sie dabei selber entscheiden – meine ist erfahrungsgemäß (je nach Spaßfaktor und Freundschaftsgrad) nach zwanzig bis dreißig Minuten erreicht.

In diesem konkreten Fall – womöglich interessiert es Sie ja – fragte ein bestenfalls sehr entfernter Bekannter an, ob ich „mal eben einen Text überfliegen“ könnte, den er durch eine elektronische Übersetzungsmaschine gejagt und dann per Hand korrigiert hatte. Ich merkte sehr bald, dass ich beinahe jeden Satz umschreiben musste, so dass die Sache eindeutig den Rahmen einer kleinen kollegialen Gefälligkeit sprengte.

Was also tun? Letztlich habe ich mich entschlossen, ihn höflich, aber unmissverständlich auf ebendiesen Sachverhalt hinzuweisen und ihm gleichzeitig – unter Nennung meiner üblichen Honorarsätze – einen sehr großzügigen Freundschaftspreis anzubieten. Und sofern er mit meiner Arbeit zufrieden ist, möchte er doch das nächste Mal an mich denken, wenn er mitkriegt, dass irgendwo eine Übersetzerin gesucht wird. (Wohl bemerkt: Sein Text war nicht zur kommerziellen Verwertung gedacht, sondern eher Privatvergnügen bzw. das, was man gemeinhin Selbstausbeutung nennt. Ansonsten hätte ich von Anfang an auf geschäftlicher Basis mit ihm verhandelt – und zwar selbst dann, wenn wir uns besser gekannt hätten. Ausgenommen von dieser Regel sind mein Mann, meine Eltern und Geschwister und zwei, drei sehr gute Freunde.)

Seine Antwort klang sehr kleinlaut: Er habe ehrlich angenommen, es sei eine Sache von zehn Minuten, wenn er das gewusst hätte, hätte er mich nie darum gebeten, ihm sei das jetzt ungemein peinlich ... Damit freilich hatte er einen anderen wunden Punkt berührt: Oft wird die Arbeitsleistung von uns Schreiberlingen schlicht und einfach unterschätzt. Das gilt besonders für Übersetzungen: Gerade Kunden, die selber keine Fremdsprachen beherrschen, bilden sich immer wieder ein, es handle sich lediglich darum, jedes englische oder französische Wort durch seine deutsche Entsprechung zu ersetzen.

Ein weiteres Problem scheint mir zu sein, dass die Grenzen zwischen Dienstleistung und freiwilligem Engagement gerade in der Internet-Ökonomie fließend geworden sind, dass sich Arbeit und Freizeitbeschäftigung, beruflicher und privater Bereich oft schwer trennen lassen. Aus Enthusiasmus, Idealismus, Altruismus oder purem Masochismus stellen wir unsere Kopfarbeit oft zur Verfügung, ohne dafür irgendeinen Lohn in Form einer Bezahlung zu erwarten: Denken Sie allein an die Mitarbeit bei der Wikipedia oder an jene Menschen, die druckreife Rezensionen bei Amazon veröffentlichen.

Abschied
Aus dem Kiez
Coaching
Das Krimi-Experiment
Dies und Das
Feierabend
Kommunikation
Kreatives Schreiben
Leben
Lost in Translation
Nachgedacht
Schnappschüsse
Singles
Termine
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren