Mittwoch, 11. März 2009

Recherche

Nicht zu fassen. Der Praktikant würdigt mich keines Blickes, als ich in die Küche komme. Nix von wegen „Na, wie war dein Urlaub?“ oder „Verdammt, bist du braungebrannt!“ Statt dessen hat er es sich am Tisch gemütlich gemacht und ist in einen dicken Wälzer vertieft. „Was treibst du denn da?“ sage ich. „Recherche“, sagt er durch einen Mundvoll Franzbrötchen. „Chefin kommt mit ihrem Spannungsbogen nicht klar, und ich soll ihr ein paar Tips geben.“ War das nicht mal mein Job? Aber okay – weggegangen, Platz vergangen. Ich nehme ihm das Buch aus der Hand und lese den Klappentext. Gescheiterter Journalist soll einen alten Fall aufdecken: „Die damals 16-jährige Harriet Vanger verschwand aus einem klassischen Agatha-Christie-Setting: beim Familientreffen auf einer Insel, von der keiner weg konnte. Aber wer ist der Mörder - falls es überhaupt einen gibt?“ Klingt nicht schlecht. „Verblendung“ heißt das fast siebenhundert Seiten dicke Werk, Stieg Larsson der Autor. „Ist das gut?“ „Ja, richtig super. Aber du magst bestimmt nur so postmodern-ironisch gebrochenen Intellektuellenquatsch – wenn du überhaupt Krimis liest. Thea Dorn, Ingrid Noll, Fred Vargas und so, stimmt‘s?“ Mensch, der kennt sich ja richtig aus! Ob er das von seiner Mutter hat? „Nö, mehr von meiner großen Schwester. Die war mal so‘ne ganz Frauenbewegte, noch zu Uni-Zeiten, weißt du. Jetzt arbeitet sie als PR-Tante und trägt Kostümchen, wenn sie auf Kundenfang geht.“ „Akquise nennt man das“, sage ich. Schließlich soll er bei uns auch was lernen, nicht nur Kaffee kochen und Post eintüten.

So falsch liegt der Praktikant gar nicht. Tatsächlich stehe ich weniger auf breit angelegte Gesellschaftsthriller mit Polizeikorruption, Organhandel, Schleuserei und sonstigen finsteren Machenschaften in der Geschäftswelt. Mich reizen eher zwischenmenschliche Dramen, dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit, wie sie Tana French oder Nicci French (keine Namensvetterin, sondern das Pseudonym eines Journalistenpaars, das zusammen Bücher schreibt) schreiben. Oder Kate Atkinson, aber von der liebe ich ihre haarsträubenden Räuberpistolen über das gutbürgerliche Familienleben, und wenn sie sich jetzt in den Kopf gesetzt hat, Krimis schreiben zu wollen – na gut, dann lese ich halt ihre Krimis. Dabei finde ich das ganze Genre eigentlich hochgradig frustrierend, denn je besser ein Buch ist, desto schneller will ich zum Ende kommen, um des Rätsels Lösung zu erfahren. Und nach der letzten Seite bin ich meist enttäuscht – nicht nur, weil ich mir der Lesestoff ausgegangen ist, sondern auch weil die Lösung fast nie so gut ist wie das Rätsel.

Nichts gegen Henning Mankells Wallander oder Ian Rankins Rebus, aber irgendwann hat man (und frau allemal) diese ewigen griesgrämigen Junggesellen mit ihren missglückten Bettgeschichten und Alkoholproblemen doch satt. Mal sehen, wie Larssons Mikael Blomkvist und seine kratzbürstige Ermittlerin Lisbeth Salander mit ihrem bösen Drachen-Tattoo so drauf sind! „Lass ruhig“, sage ich zum Praktikanten. „Füll du erstmal den Toner im Kopierer nach, um die Recherche kümmere ich mich schon. Ist noch Kaffee da?“

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