Freitag, 14. November 2008

Leerer Tisch, leerer Kopf

Nun fängt auch der Praktikant schon an, sich über den Zustand meines Schreibtisches zu mokieren! Neulich erzählte er mir doch glatt, er habe mal in einer anderen Firma gejobbt, wo sie etwas gemacht haben, was sich „Keisenn“ nannte. Das sei japanisch und bedeute soviel wie „Nur ein leerer Schreibtisch ist ein guter Schreibtisch“. „Die hätten dich gleich mit weggeräumt“, fügte er in seiner charmanten Art hinzu. Wir hätten ihm niemals das Du anbieten dürfen ...

Jedenfalls habe ich mich gleich im Internet schlau gemacht: Kaizen ist eine japanische Unternehmensphilosophie – ein Begriff freilich, der in meinen geisteswissenschaftlich geschulten (verwöhnten?) Ohren genauso pervers klingt wie corporate culture.

Aber Sie wollen keine wirtschaftsfeindliche Polemik lesen, sondern harte Fakten und handfeste Informationen. Kaizen bedeutet „Veränderung zum Besseren“ und ist als nimmer endender Prozess zu verstehen. Diesem Erfolgsrezept, welches das japanische Wirtschaftswunder in der Folge des verlorenen Weltkriegs beflügelt hat, verdanken wir laut Wikipedia Marketing-Gags wie die Karaoke-Funktion am DVD-Spieler. Neben solchen sichtbaren Innovationen geht es vor allem um eine stetige Effizienzsteigerung durch Optimierung sämtlicher Arbeitsabläufe, selbstredend immer unter der doppelten Maßgabe „Zeit ist Geld“ und „Leistung gleich Profit“. Das erfordert natürlich dauernde Kontrolle.

Hierzulande bieten pfiffige Unternehmensberater „Büro-Kaizen“ als umfassende Entrümpelungsmaßnahme an: Frühjahrsputz in den Regalen, Altlasten werden beseitigt, Langzeitablagen gnadenlos dezimiert. So weit, so einleuchtend, ja geradezu befreiend. Aber im nächsten Schritt, das lehrt mich die Erfahrung, verschwindet die Bundesligatabelle mit den Steckbildern der Vereinslogos von der Wand, weil ihrer Aktualisierung jeden Montagmorgen mindestens zehn Minuten produktive Arbeitszeit zum Opfer fallen. Bunte Schreibtischunterlagen, das gerahmte Foto von der Liebsten und das Maskottchen auf dem Computer müssen weg – sie stören die Konzentration. Dann werden die Raucherpausen abgeschafft und Toilettenbesuche auf zweimal drei Minuten pro Person und Tag reduziert.

Zum Glück ist unser Team noch so jung, dass wir keine Karteileichen, geschweige denn Skelette in den Aktenschränken haben. Mit den paar Staubmäusen, die sich unter die Heizung verkrochen haben, wird der Praktikant schon fertig. (Wie gut, dass in unseren Gefilden keine ausgewachsenen dust bunnies durch die Zimmer hoppeln wie im englischen Sprachraum, aber das nur nebenbei.) Davon mal ganz abgesehen: Hier arbeiten keine Roboter, sondern zwei erwachsene Frauen und ein zugegebenermaßen recht unerwachsener Praktikant. Wir wissen genau, dass unsere Kunden auf eine fristgerechte Lieferung guter Texte angewiesen sind, und setzen alles daran, sie nicht zu enttäuschen. Zwischendurch brauchen wir halt auch mal eine Denkpause, in der wir mit dem Stempelkissen spielen oder Löcher in die Luft starren würden, wenn uns jede andere Ablenkung verboten wäre.

Wenn ich manchmal unruhig schlafe, weil ich das Gefühl nicht loswerde, ich hätte etwas noch besser, noch schneller hingekriegt, hätte ich mir nur ein bisschen mehr Mühe gegeben –dann möchte ich das weiterhin als Neurose betrachten, statt am nächsten Morgen gleich einen Termin beim Unternehmensberater zu vereinbaren. Wissen Sie was? Mein DVD-Spieler braucht keine Karaoke-Funktion!

In Wirklichkeit geht der Spruch von den toten Indianern doch so: Nur ein zufriedener Mitarbeiter ist ein guter Mitarbeiter. Das soll nicht heißen, dass zufriedene Menschen niemals schlechte Arbeit machen. Wer sich jedoch gegängelt und schikaniert fühlt, verliert schnell jede Lust, mehr zu leisten als nur Dienst nach Vorschrift.

Aber vielleicht sollte ich den Praktikanten doch bitten, meinen Schreibtisch aufzuräumen, bevor Frau Burkhardt sich beschwert. Schließlich bin ich nur Gast in ihrem Blog.

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